27. November 2013

Schweißflecken der Realität

Im Augsburger Programmkino „Liliom“ »Blue Jasmine« gucken
Schweißflecken der Realität
Es gilt, Woody Allens »Blue Jasmine« zu besichtigen. Wir haben lange geschwankt, im Rennen waren noch »Fack ju Göhte« sowie »Im weißen Rössl – Wehe, du singst!«. Aber Theaterschaffende sind eben einschlägig vorgeprägt und in ihrer raren Freizeit cineastischen Experimenten eher abgeneigt. Beim Regie führenden Altmeister weiß man ja ungefähr, was kommt. Frauen vor Stadtlandschaft und so. Augsburg, eine Stadt, die, jedenfalls mit meinen trüben Augen betrachtet, ansonsten keinerlei Vergleich mit Dresden standhält, hat immerhin ein schlichtweg entzückendes Programmkino namens „Liliom“ zu bieten, idyllisch am Lech gelegen und mit einer gut sortierten Bierauswahl.

Der Mann an der Kasse ist irre freundlich, Werbung findet auch nicht statt. Wir stoßen mit einem schweren einheimischen Gebräu auf die Flucht aus der Theaterkantine an, die Leinwand wird hell, da Cate Blanchett erscheint. Kurzes Getuschel, wie oft eigentlich war die Dame für den Oscar nominiert? Vielfach ja und preisgekrönt auch, als Leonardo di Caprios Partnerin in »Aviator«. Die Frau ist so wandlungsfähig, dass man sich an ihre Mitwirkung in bekannten Filmen mitunter gar nicht erinnern kann. Als Catherine Hepburn in »Aviator« eben, erkennt man sie kaum wieder. Woody Allen wiederum setzt ganz auf den Wiedererkennungswert. Cate Blanchett gibt das blonde Wohlstandsgift Jasmine (eigentlich Jeanette), das aus schnöder Rache den untreuen Ehemann ans FBI-Messer liefert, nicht bedenkend, wie sehr sie sich damit ins eigene High Society Fleisch schneidet. Der Gatte hängt sich im Knast auf, Kohle, Immobilien und Schmuck kassiert der Staat und Jasmine steht mit den verbliebenen Vuittons auf der Straße. Letzter Ausweg ist die Flucht zu Ginger nach San Francisco.

Sally Hawkins spielt die im Supermarkt kassierende Schwester mit einem so unbändigen Lebenshunger und so unfassbar großer Unterwerfungsbereitschaft, dass man nicht anders kann, als Gingers beinharte Naivität nach so und so vielen Schicksalsschlägen billigend in Kauf zu nehmen. Die Schwestern, so unterschiedlich sie sind, eint die eine fixe Idee. Mit dem richtigen Mann wird das Leben endlich (Ginger) oder wieder (Jasmine) auf die Reihe zu kriegen sein. So taumeln sie beide dahin, auf der Suche nach dem rettenden Mr. Right. Ginger, die genügsame, gibt sich schließlich mit der sicheren Bank zufrieden, während Jasmine in Richtung Abgrund strauchelt. Die Lebenslügen lösen sich zusehends auf, das Chanelkostümchen wird von den Schweißflecken der Realität aufgeweicht. „Dein Pony sieht auch aus wie mit der Nagelschere geschnitten.“ flüstert mir die Theaterkollegin zu. Soll wohl eine Anspielung auf Sally Hawkins sein. „Mondän ist eben nicht,“ schnippe ich zurück, „schau lieber auf das Hängefleisch von Cate Blanchett“.

Die sitzt wie eine gefallene Königin auf der finalen Parkbank, mindestens Lady Macbeth, der Lack ist ab, aber die Selbsttäuschung währet womöglich ewiglich. Sie sieht plötzlich aus wie du und ich und hat kein Problem, das zu zeigen. Dicke Nase, rote Augenränder und Faltenwurf unterm Kinn. Wir sind uns einig, dass am deutschen Stadttheater ein solcher Mut zur Hässlichkeit gänzlich unbekannt ist. Schon schade. Eigentlich nicht viel passiert in den letzten anderthalb Stunden, man hat nur eine weitere Spielart von freiem Fall gesehen. Schon auf dem Nachhauseweg allerdings stellen wir fest, dass dies womöglich der großartigste Film des Jahres ist. Liegt sicher auch am Casting, denn trotz der alles beherrschenden Cate ist »Blue Jasmine« ein ganz feiner Ensemblefilm. Die Männerriege, bestehend aus Alec Baldwin, Bobby Cannavale, Andrew Dice Clay, Peter Sarsgaard und Michael Stuhlbarg darf zwar alle Klischees bedienen. Plattitüden finden trotzdem nicht statt, und das ist dann wohl doch dem großen alten Regisseur geschuldet, der weiß, was es mit der unerträglichen Leichtigkeit des Seins auf sich hat.

Grit Dora

http://www.BlueJasmine.de