3. März 2014

Pro und Contra »The Wolf of Wall Street«

Jede Menge Oscars & Zusammenarbeit Nummer fünf
Pro und Contra »The Wolf of Wall Street«
Zusammenarbeit Nummer fünf beschert Regisseur Scorsese seine zwölfte und Hauptdarsteller DiCaprio die fünfte Oscar-Nominierung. Die Redaktion des Kinokalender Dresden bewertet dies folgendermaßen.

Pro

»The Wolf of Wall Street« war am Anfang ja eher so „The Wolf of Blockbuster“, „The Wolf of OSCAR-Gewinner“ und „The Wolf of jeder muss diesen Film gesehen haben“. Und genau aus diesem Grund mied ich diesen Film sehr lange.

Mir kamen sehr gute Kritiken unter die Augen, aber auch sehr schlechte. Einige sagten: „Schau diesen Film nicht, wenn du den Trailer gesehen hast, mehr gibt es nicht zu sehen.“ Oder: „Furchtbar langweilig!“

Trotz der hin- und hergerissenen Meinungen (sehr normal, gerade bei einem Blockbuster) gab ich irgendwann nach und sah ihn mir an - vollkommen ohne Erwartungen. Bis auf die paar Schlüsselszenen, die mir schon gespoilert wurden.

Die "Furchtbar langweilig!" Kritik kann ich ganz und gar nicht teilen. Ich bin im Nachhinein so froh, mir die 3 Stunden im Kino "angetan" zu haben. Ich habe mich mit diesem Film vollkommen wohl gefühlt. Als wäre der Film ein wirklich netter Begleiter für den Abend, mit dem man sich gut unterhält, herzhaft lachen kann und auch mal explizite Themen anspricht, bei dem man etwas geschockt ist. Man fühlt sich, als würde eine Person - Leonardo DiCaprio - dir ihre Lebensgeschichte erzählen, ehrlich, vielleicht etwas übertrieben und sehr subjektiv. Aber genau das macht es so interessant. Es ist eine echte Geschichte, die von einem echten Menschen erzählt wird und genau diese Struktur hat Scorsese so authentisch wiedergegeben, dass man wirklich denkt, man hätte mit Jordan Belfort ein Date gehabt und sich einfach herrlich amüsiert.

Wieso auch nicht, jeder kennt den Freund im Freundeskreis, der es einfach immer übertreibt, der schockierende Geschichten auf Lager hat, der einfach das Leben auskostet, bis er von ganz oben nach ganz unten fällt. Warum sollte man sich jetzt also darüber aufregen, dass alles viel zu sexuell aufgeputscht wird oder die vielen Orgien zu explizit und zu subjektiv dargestellt werden? „Martin Scorsese lebt seine sexuelle Frustration durch den Film aus." Vielleicht stimmt das, aber genau das macht den Film doch authentisch? Es wäre doch nicht eine Geschichte der Gier nach Macht, der Sucht nach Drogen und Geld und Frauen, wenn man den Zeigefinger erhoben hätte und eine Moral am Ende eingebaut hätte. „Liebe Kinder, Frauen sollten nicht so benutzt werden." Richtig, aber das gehört nicht in diese Welt, nicht in diesen Film.

Es ist eine Geschichte über Sucht. Sucht nach allem, was Spaß macht. Vor allem aber Sucht nach Geld und nach Macht. Und diese Darstellung, der Aufbau dieser Sucht, die Entwicklung, die Jordan Belfort vollzogen hat, die ist explizit und aufgedunsen, aber dadurch so unendlich echt. Natürlich wird übertrieben, maßlos. Aber wer glaubt, im echten Leben würde es nicht wirklich so zugehen, der lebt wohl hinterm Mond. Das alles sollte nicht gutgeheißen werden, keineswegs. Ebenso wenig nimmt sich der Film todernst. Es gibt so viele Szenen, Dialoge und auch einfache Austausche von Blicken, die zeigen: „Nehmt es mit Humor! Natürlich finde ich das nicht okay, aber dies soll auch keine Lobrede sein!"

Ich finde es großartig, dass ein Film es schafft, so viele Menschen in ihren Meinungen zu zerreißen, so viel Gesprächsstoff zu liefern. Ich finde es großartig, dass der Film schafft, dass man sich ekelt, dass man den Kopf schüttelt, dass man Personen verurteilt, dass man mitleidet, dass man sich herzhaft kaputt lacht und fast den Schmerz spürt. Wenn jemand schafft, all diese Gefühle in einem Film rüber zu bringen, dann ist das schon eine Leistung.

Viel von dieser wahrlich großartigen Leistung ist jedoch auch den Schauspielern zugute zu schreiben. Leonardo DiCaprio versucht ernsthaft so stark, sich diesen Oscar zu krallen. Er gibt sich solche Mühe, ohne Rücksicht auf Verluste (wobei es nur um ihn selbst geht). Er lebt die Rolle, man glaubt ihm jede Sekunde. Man kann die Gier nach Macht in seinen Augen ablesen. Man glaubt ihm die Entwicklung und man glaubt ihm den Fall. DiCaprio hat mit vielen Filmen auf diesen hin gearbeitet, um hier wieder einmal zu zeigen, welch grandioser Schauspieler er doch ist. Die Academy sollte ihm endlich seinen verdienten Oscar geben.

Ich fand die Zusammenstellung der Schauspieler wunderbar und richtig passend. Die Kritik, Matthew McConaughey würde furchtbar aussehen, „als sei er auf Drogen - wie konnten sie das nur tun!" ist daneben, denn genau das sollte sein Aussehen doch ausdrücken! Jahre lange Drogenexzesse machen aus dir natürlich keinen Schönling! Und deswegen sieht DiCaprio am Ende auch so unendlich mitgenommen aus. Deswegen wirkt es so echt. Aber auch die Nebendarsteller sind wirklich gut. Die Musik super eingebaut, die Bilder wirken einfach grandios. Selbst die wirklich übertriebene Szene auf dem Meer mit den Riesenwellen und dem danach explodierenden Flugzeug. Wunderbar in Szene gesetzt mit dem einzigen Ziel: durch dieses absurde, unwirkliche Szenario zu zeigen, wie viel Glück Belfort eigentlich hat, welches Schwein er hat überhaupt noch zu leben.

Die vielen und auch langen Dialoge haben für mich die Qualität des Films deutlich erhöht. Wenn jemand sagt, der Film sei zu lang, die Dialoge zu langweilig, der passt einfach nur nicht richtig auf. Wer redet denn im echten Leben nur "zack zack" und weiß immer genau, was er sagen soll? Gespräche sind lang und auch im Film sollten einfach "echte" Gespräche stattfinden. Auch wenn sie so sehr merkwürdig rüberkommen, wie die Szene am Anfang beim Essen mit DiCaprio und McConaughey und letzterer komisch singt und summt. Das ist absurd und witzig und wird nur absurder und witziger, aber genau das macht die Szene aus, genau das will sie bewirken. Die Absurdität dieser Welt darstellen.

Ich finde also, Scorsese hat zusammen mit DiCaprio einen wundervollen Film geschaffen, der als Unterhaltung dienen soll, nicht als Lehre. Der mit einem Zwinkern angesehen werden sollte, nicht mit dem Moral-Zeigefinger. Wenn man diese beiden Sachen beachtet, dann kann man 3 Stunden wirklich guter Zeit bekommen. Lasst euch drauf ein und ihr werdet Spaß haben.

Semi-Contra:
Ist der Autor dieser Zeilen lebensmüde? Immerhin kommt ein Contra zu einem Scorsese-Werk einem cinephilen Suizid gleich. Um demnächst nicht kleine Giftzwerge à la Joe Pesci vor meiner Wohnungstür stehen zu haben, die mich in bester »GoodFellas«- und »Casino«-Manier zur Vernunft bringen, eines vorweg: Scorsese ist top, Leo sowieso und folgende Zeilen lediglich „Jammern auf hohem Niveau“.

Fakt ist nämlich: »The Wolf of Wall Street« trägt unverkennbar die geliebte inszenatorische Handschrift des Martin Marcantonio Luciano Scorsese – siehe Schnitt, Erzähltempo, Stil sowie die wirklich wirklich widerlichen Figuren im Mittelpunkt der Geschichte. In 180 Minuten gewährt uns der Maestro Einblicke in das Partyleben des Börsenmaklers Jordon Belfort (Leonardo DiCaprio), der es in den 1980er Jahren dank seines Verkaufstalents zu Reichtum und unermesslichem Luxus bringt. Eine Moralkeule gibt es dabei keine, stattdessen einen Off-Kommentar von Belfort selbst, der den gezeigten Wahnsinn süffisant begleitet. Oberflächlich ein Riesengaudi, ist die (scheinbar) unreflektierte Präsentation von Millionenbetrug, ausufernden Sexfeiern und ungezügeltem Drogenkonsum jedoch an Zynismus nicht zu übertreffen.

Bitte nicht falsch verstehen: Zynismus ist ein wunderbares Mittel, um künstlerisch auf etwas Verwerfliches hinzuweisen und es gleichsam zu karikieren. Nur leider habe ich – in Erinnerung an den eigenen Kinobesuch – große Zweifel, dass dies auch von jedem durchschaut wird: Abfeiernde Sitznachbarn, die jeden neuen auf der Leinwand gezeigten Exzess bejubeln und beklatschen, lassen Erinnerungen an den Gordon Gekko-Fanclub aufkommen. Diese von Michael Douglas trefflich gespielte Figur aus Oliver Stone »Wall Street« (1987) diente einst vielen Brokern als Vorbild, da sie weder von Gewissensbissen noch Anstand „aufgeweicht“ war. Gekko wurde das Maß alles Dinge, „Gier ist gut“ zum Leitspruch einer ganzen Finanzhai-Generation.

In »The Wolf of Wall Street« führt der ‚Bösewicht‘ selbst durch das Geschehen, spricht sein (Kino-)Publikum direkt an und macht keinen Hehl daraus, wie geil er sein Leben findet. Es ist nicht das erste Mal, dass Scorsese dem Zuschauer die Bewertung der Figuren komplett selbst überlässt. Wie schief das gehen kann, zeigte sich unter anderem in der Kritik des ARD-Morgenmagazins, die den Film als „ärgerlich und viel zu lang“ bezeichnete, in dem „Frauen als Sexhäschen oder leidende Ehegattinnen gezeigt werden, die Opfer [von Belfort] kommen erst gar nicht vor.“ Dem widerspreche ich zwar vehement, aber vielleicht hätte Scorsese ein paar mehr Szenen einbauen sollen, die das Manipulative der ganzen Chose entlarven. Der plötzliche Wechsel der Lackfarbe am Auto beispielsweise, oder die doppelte Lamborghini-Fahrt unter Drogeneinfluss, die zwei völlig unterschiedliche Verläufe zeigt, reichen nämlich offenbar nicht aus, um Belfort als Lügner, Hochstapler und Narziss zu entlarven, der unter seiner glänzenden, verblendenden Oberfläche ein ganz armes Würstchen-Dasein führt.

Scorsese hat mit seinem aktuellen Werk wie schon einige Male zuvor die Anziehungskraft von Macht, Geld und Sex thematisiert und dabei offenbar ein paar Kritiker/Zuschauer gleich mit verführt. Das weist ihn einmal mehr als virtuosen Handwerker seines Fachs aus, der sich nicht davor scheut, einen Widerling wie Jordon Belfort drei Stunden unterhaltsam in den Fokus zu rücken und ihn dabei (beinahe unbemerkt?) zu demontieren. Scorsese, dieser listige Fuchs, fordert sein Publikum und nimmt in Kauf, missverstanden zu werden. Mutig! Somit ist dem kleinen Mann auf dem Regiestuhl schlussendlich eigentlich nur eines vorzuwerfen: Warum hast Du, lieber Marty, so lange nicht mehr einen derart guten Film abgeliefert?

Csaba Lázár

http://upig.de/micro/the-wolf-of-wall-street.html