3. Mai 2014

Geheimnis für kleines Meisterwerk – Pro & Contra oder Pro Pro Pro - Der Hundertjährige...

Die Dynamitstangen in der Linken, das Schnapsglas in der Rechten, sprengt er sich entspannt durch die Weltgeschichte.
Geheimnis für kleines Meisterwerk – Pro & Contra oder Pro Pro Pro - Der Hundertjährige...
Pro Pro
Es sind einmal wieder die kleinen, frechen Geschichten, die für Furore sorgen: Natürlich kann das schwedische Kino, auch nicht das skandinavische, in seiner Quantität nicht mit großen europäischen Ländern oder gar mit Hollywood mithalten, aber mit der Qualität schon!

Das Geheimnis: Man nehme eine gute Story, erstklassige, wenn auch hierzulande gänzlich unbekannte Schauspieler, eine Regie, die auch aus einem dicken Roman einen handlichen Film zu brauen versteht, einen Schuss Romanze – und fertig ist ein kleines Meisterwerk! Natürlich hat die literarische Vorlage ein gutes Stück zum Erfolg beigetragen, aber es hat sich auch schon so mancher Regisseur bei der Verfilmung toller Romane verhoben.

Wahrscheinlich gibt es nicht so viele Krimis/Thriller mit einem derartig hohen Spaßfaktor. Ein knappes Duzend Tote, und trotzdem benötigt man ein Taschentuch zum Trocknen der Lachtränen. Sicherlich die skurrilste Art, vom Leben in den Tod befördert zu werden, ist die unter dem Hintern eines Elefanten – da zucken die Beine noch einmal kurz und dann ist es vorbei. Dem Mann unter dem Elefanten muss man nicht nachtrauern. Seinem Boss wäre fast das gleiche Schicksal widerfahren, doch ihm wurde „nur“ das Gedächtnis ausgelöscht. So sitzt er also auf Bali vorm Bildschirm, spielt eine Art Memory, und bei falscher Eingabe erscheint die Meldung „Try Again!“ Wenn das keine neue Form der Resozialisierung ist!

Ach so, für die Nichtleser hier eine Kurzvorstellung der Protagonisten: Die 100-jährige Titelfigur Allan Karlsson, von dessen bewegtem Leben in Rückblenden erzählt wird, findet einen Koffer voller Geld, hinter dem natürlich einige sehr zwielichtige Gestalten her sind. Allan trifft auf den auch schon betagten Julius, der ihm hilft, seine Verfolger los zu werden. Beide lassen sich per Anhalter von Benny mitnehmen, dessen Dauerstudium verschiedenster Fachrichtungen doch nicht ganz unnütz war und der mit Gunilla auch noch die Liebe findet.

Ja, wer hätte das gedacht: Arthouse-Kino kann auch lustig sein! Nein, es muss nicht immer bedeutungsschwanger vor Tiefe tropfen. Und Mensch kann auch auf das vergangene Jahrhundert mit all seinen Katastrophen mit einem Augenzwinkern zurückschauen.

Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit; dafür sind die Ereignisse, von denen berichtet wird, einfach mit zu viel Leid und Leichen behaftet. Aber darum geht es hier einmal nicht. Die Geschehnisse sollen nicht analysiert werden. Keine neue Welttheorie zur Rettung der Menschheit wird entwickelt, sondern es wird „nur“ mit herrlich ironischem Unterton erzählt, wie ein einfacher Mann mit 3-Klassen-Schulbildung durch die Weltgeschichte stolpert und so „ganz nebenbei“ einige nicht ganz unbedeutende historische Ereignisse auslöst oder zumindest miterlebt, seien es der spanische Bürgerkrieg, die Entwicklung der Atombombe oder die Gulags in Sibirien. Ja, es darf darüber gelacht werden, was das Publikum auch reiflich ausgekostet hat. Vielleicht kommen wir ja auf diese Weise der Aufarbeitung dieses irrsinnigen Jahrhunderts ein Stück näher; und wenn nicht, so hatten wir zumindest einen aufmunternden Abend mit guter Unterhaltung.
TCR

Contra
Es gibt keinen Grund, sich diesen Film anzuschauen, wenn man das Buch nicht mag.
Regisseur Felix Herngren hat Jonas Jonassons Bestseller, der beim Feuilleton durchfiel und erst besprochen wurde, als sich sein Erfolg nicht mehr ignorieren ließ, sorgsam für die Leinwand aufbereitet. Dass er den umfangreichen Stoff extrem ausdünnen musste, versteht sich von selbst, sonst hätte der Film nicht die moderate, dem Genre entsprechende und das Publikum nicht verprellende Länge. Es gibt eine Menge Gründe, den Film zu sehen, wenn man das Buch gern gelesen hat.

Robert Gustafson, der den „Hundertjährigen“ spielt, den Mann mit der schweren Kindheit, zwangssterilisiert und unterprivilegiert, verstärkt noch mal den hohen Sympathiefaktor des Allan Karlsson. Unterstützt von der überzeugenden Maske beweist er, dass ein hohes Alter durchaus seine Vorteile hat. Eher mit Understatement denn mit Overacting (für einen Comedian nicht unbedingt selbstverständlich) führt er vor, wie man mit einfachen Lösungen ziemlich weit kommen kann. Er ist das fleischgewordene Plädoyer für Wurstigkeit und Fatalismus. Die Dynamitstangen in der Linken, das Schnapsglas in der Rechten, sprengt er sich entspannt durch die Weltgeschichte. Nicht vorsätzlich, sondern beiläufig.

Ein Simpel mit hohem Potential. Nur ist es dem Regisseur leider genug, dass der Horizont des vermeintlichen Simpel nur bis zum nächsten Schnäpschen reicht. Etwas mehr Doppelbödigkeit hätte die Figur schon verkraftet. Muss ja nicht gleich Arthouse-Kino werden. Allan Karlssons Lebensphilosophie „Es ist, wie es ist und es kommt wie es kommt“, zementiert der Film mit holzschnittartigen Sprüchen und Bildern. Da sagt Allan Karlsson zum bösen Gangsterboss auf Bali: „Wenn sie mich umbringen wollen, müssen sie sich beeilen, weil ich schon hundert bin.“ Im Buch ist das lustig, im Film nicht, weil die Figuren dort so nah am Klischee besetzt sind, dass die Sprüche zu Kalauern verkommen. Angenehm zurückhaltend dagegen und treffsicher charakterisierend ist das Kostümbild von Madeleine Kihlbom Thor. Es sorgt für prima Spielideen. Etwa, wenn Julius, der siebzigjährige dicke Latzhosenträger, den tiefgefrorenen Koffer-Gangster aus seiner „Kutte“ pellt, sich selber reinzwängt und stolz Color und Chapter eines MCs präsentiert. Natürlich ohne zu wissen, was er da auf dem Leibe trägt. Sehr schön auch, wenn Allan Karlsson in Gunillas Bademantel am See sitzt und die smaländische Idylle genießt. Iwar Wiklander als Gelegenheitsdieb Julius und David Wiberg als verkrachter Student Benny sind wahrhaft kongeniale Partner für Robert Gustafson.

Die Musik von Matti Bye ist auch erste Sahne, erinnert ein wenig an Balkanspaß à la Goran Bregović und illustriert gottlob nicht bedeutungsschwanger das dynamitgeschwängerte Leinwandgeschehen. Felix Herngren hat also ganz viel richtig gemacht. Trotzdem ist das Ergebnis zwiespältig. Ein Film, der auf Schenkelklopfer zielt und die charmanten Spieler unterfordert. Ein Film, der die Sehnsucht nach einfachen Lösungen bedient. Das zieht einem dann schon die Kamelhaarpantoffeln aus.
Grit Dora

http://www.derhundertjaehrige-film.de