26. November 2014

Pro und Contra »Interstellar«

Kinovisionär oder Edelkitsch?
Pro und Contra »Interstellar«
OSCAR-Preisträger McConaughey fliegt ins All und erlebt sein persönliches „Armageddon“ in zero-„Gravity“. Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist gespalten - Kinovisionär oder Edelktisch?

Pro:
Stanley Kubrick hatte sie, Steven Spielberg höchstwahrscheinlich bis heute immer mal wieder. Martin Scorsese nicht unbedingt. Aber Christopher Nolan, ja, der hat sie. Definitiv. Bevor schlüpfrige Vermutungen zutage treten: Die Rede ist von der Klausel im Vertrag eines Regisseurs, den finalen Schnitt, die Entscheidung über die endgültige Form eines Films selbst bestimmen zu dürfen. Diese Klausel ist keinesfalls selbstverständlich und wird nur äußerst selten von produzierenden Studios vergeben. Der Brite Nolan hat sie sich dank Werken wie »The Dark Knight« bei Studioriese Warner Bros. verdient und darf deshalb als einer der wenigen Autorenfilmer regelmäßig Blockbuster à la »Inception« vom Stapel lassen, die zwar exorbitant viel kosten, dabei aber trotzdem stets anspruchsvoll und intellektuell herausfordernd sein dürfen. »Transformers 4« fürs Feuilleton sozusagen. »Interstellar«, sein neuester Streich, zählt ebenso dazu.

Angesiedelt in der nahen Zukunft, wirft »Interstellar« einen zunächst sehr realen Blick auf die Erde von morgen, die unter einer Dürre und weltweiter Nahrungsknappheit leidet und kaum mehr als zwei Generationen vor dem kompletten Umweltkollaps entfernt ist. Dies ist auch dem ehemaligen Fliegerass Cooper (Matthew McConaughey) bewusst, als er das überraschende Angebot erhält, sich zusammen mit der Wissenschaftler-Crew um Amelia (Anne Hathaway) in den Orbit zu begeben, auf die Suche nach neuen, bewohnbaren Planeten. Dank der Überredungskünste von Amelias Vater, des NASA-Primus’ Brand (Michael Caine), lässt Cooper seine Familie zurück und begibt sich auf eine gefährliche Reise, deren Ende niemand kennt.

Das muss man erstmal schaffen: Ein Science-Fiction-Opus zu drehen, das zu zwei Dritteln fernab der Heimatkugel spielt und doch so wirkt, als sei es ein ganz persönlicher, kleiner Film des Regisseurs, der sich nur um die darin agierenden Figuren schert. Je größer das Bild um so intimer das Präsentierte, scheint das Credo von Nolan für sein »Interstellar« gewesen zu sein, dessen Drehbuchvorlage übrigens von Christophers Bruder Jonathan stammt. Zusammen bescherten sie uns schon so wunderbares Kopfkino wie »Memento« und »Prestige«. Junge, wenn man von denen zum Kaffeekränzchen eingeladen wird, sollte man vorsichtshalber immer ’nen kompletten Brockhaus griffbereit haben. Denn ja, mitunter wird es bei 169 Minuten Laufzeit auch mal anstrengend – vor allem, weil Mr. McConaughey in der Originalfassung die Gusche wieder nicht richtig aufkriegt beim Erklären diverser wissenschaftlicher Vorgänge. Allerdings befindet sich »Interstellar« mit seiner partiellen Kryptografie in guter Gesellschaft (»2001«, ick hör dir trapsen), zumal das Visuelle ohnehin über jeden Zweifel erhaben und an Ideenreichtum kaum zu überbieten ist.

Wer es sich bis zum Kinobesuch verkneift, einen der verräterischen Trailer zu schauen, wird zudem mit einigen Überraschungen bezüglich der Besetzung belohnt. Der gönnt Regisseur Nolan trotz seiner Bildwunderwelten, die faszinierender weil glaubhafter wirken als der 3D-Quark in Camerons »Avatar«, sehr viel Raum für tief bewegende Schauspielmomente. Statt unfreiwillig komische Blaumänner aus dem Computer gibt Nolan den Astronauten, Verzeihung: Kosmonauten, ihre Persönlichkeit, ihre Menschlichkeit zurück. Mit einfachsten inszenatorischen Mitteln entfacht er eine Emotionalität sondergleichen (Stichwort: Rückkehr vom ersten fremden Planeten), die selbst einem hartgesottenen Genre-Fan, der Horrorszenarien wie »Alien«, »Starship Troopers« und »Keinohrhasen« überstanden hat, Tränen in die Augen treibt.

Wenn es mal nichts zum Heulen gab, dann sorgten TARS und Kollege CASE für breites Grinsen: Ähnlich dem eigenwilligen Bordcomputer HAL aus »2001« wird die Mannschaft bei ihrem Trip von zwei hochintelligenten, kommunizierenden Bauklötzchen begleitet, die nicht nur über Humor sondern ebenso viele kleine Raffinessen verfügen, die Nolan immer wieder geschickt einzusetzen vermag.

Ich halte meine Daumen gedrückt, dass Nolan noch lange seine „Final Cut“-Klausel behalten darf. Von mir gibt es schon jetzt das Versprechen, für jedes weitere seiner Filmwunderwerke ins Kino zu traben.

Csaba Lázár

Contra
Da hat das Ausnahmetalent Nolan, der 2005, fünf Jahre nach seinem kühnen Erstling »Memento« bereits in der ersten Liga Hollywoods eingetroffen war, mal wieder richtig zugeschlagen. Und es macht die erste Stunde viel Spaß, mit den sympathischen Helden mitzufiebern. Denn es geht um nichts Geringeres als die Rettung der Menschheit vor dem Kollaps unseres Planeten.

Der Magier entfacht ein visuelles Feuerwerk - die Kamera führte Hoyte van Hoytema, der mit »So finster die Nacht« brillierte - und schickt seinen Helden Cooper, von einem bestens aufgelegten Matthew McConaughey gespielt, auf eine Reise in die Weiten anderer Galaxien. Die geradlinig erzählte Geschichte presst den Zuschauer in den Kinosessel und lässt ihn mit den Helden bangen. Leider kippt nach der Hälfte die Story. Statt Logik zwingen Explosionen das Raumschiff zu technischer Murkserei, die Cooper hart am Schwarzen Loch vorbei, unversehrt zurück zum Saturn führen. Dort, oh welch Glück, hat mittlerweile die Menschheit neue Lebensräume gefunden und das lange Warten seiner Tochter, immerhin rund 80 Jahre, ein glückliches Ende gefunden. Etwas viel Hokuspokus für eine meisterliche Dystopie am Rande des Schwarzen Lochs.

Entfacht wurde eine lebendige Diskussion zu physikalischen Fragen rund um den Film. Nolan vertraute auf den US-Wissenschaftler Kip Thorne. Instinktiv erscheint vieles nicht ganz stimmig, so der kleine Raumgleiter, der ein Vielfaches der Erdgravitation überwinden muss, oder der Kamikazeflug durch das Schwarze Loch mit anschließendem Aufenthalt in der fünften Dimension. Doch wer kann mit Gewissheit sage, wie sich Mensch und Schwarzes Loch vertragen?

Im Rückblick erscheinen viele Details nicht stimmig und der Film als platter Edelkitsch. So weist nur ein genialer Wissenschaftler die Richtung der Rettung, natürlich mit Stars and Stripes. Dabei ist doch die Menschheit mit einer wahren Kakophonie richtiger Lösungen konfrontiert. Auch die zwischenmenschliche Dimension greift zu kurz. Die anfänglich bewegende und realistische Vater-Tochter-Beziehung verkommt zu einem gespachtelten Drama und Coopers Junge, der zupackende Farmer, ist dann einfach mal weg. Der Höhepunkt ist die Auflösung der Geschichte, eine klassische Huhn-Ei-Problematik. Wenn Cooper am Ende der ist, der sich selber ruft, wer war dann zuerst da?!

Im Endeffekt ist natürlich alles relativ und nur die Liebe zählt. Aber hier hat Nolan doch etwas übertrieben und lediglich einen Top-Hollywood-Film mit Big Budget von rund 165 Mio $ abgeliefert, der alle krümmt - von der Zeit über die Geschichte bis zum Ende. Denn passen muss es am Schluss und an der Kasse mindestens 500 Mio. Dollar einspielen. Viel mehr ist dazu aber nicht zu sagen. Hollywood eben von seiner besten Seite - mit sauberem Handwerk und tollen Darstellern, ironiefrei verwurstelt in Hochglanzästhetik.
Mersaw

http://wwws.warnerbros.de/interstellar