24. Juni 2015

Hier hat wohl ein neuer Kultfilm das Licht der Leinwand erblickt

Pro und Contra »Mad Max«
Hier hat wohl ein neuer Kultfilm das Licht der Leinwand erblickt
Satte 30 Jahre nach seinem letzten Leinwandauftritt ist »Mad Max« zurück im Kino. In der Redaktion des Kinokalender Dresden stößt das auf ein wenig geteiltes Echo - denn hier hat wohl ein neuer Kultfilm das Licht der Leinwand erblickt.

Pro 1
George Miller ist einfach ein Held. Dreht mit 70 Jahren einen neuen Teil seiner eigenen, mittlerweile als Klassiker geltenden Endzeit-Trilogie und macht eigentlich alles richtig. Dabei muss er sich gegen alle möglichen und unmöglich scheinenden Widerstände der Natur und des Menschen durchsetzen - Stichwort Irakkrieg, Mel Gibson und Studiosystem. Diese führten zwar mehrmals zur Verschiebung der Dreharbeiten, doch den Kinostart fast 16 Jahre nach der Idee konnten sie nicht verhindern.
Dafür konnte George Miller mit 150 Millionen Dollar seine Vision sensationell umsetzen. Ihm ist ein Meisterwerk gelungen, das das Zeug zu einem Kultfilm hat. Ob dabei die kommerziellen Erwartungen des Studios erfüllt werden, ist noch fraglich, könnte aber nach jetzigem Stand auch funktionieren.

Kurz gesagt, George Miller macht aus der Not eine Tugend. Die Geschichte ist mit der Reise von A nach B und zurück extrem reduziert - wer braucht schon komplexe Psychodiagnosen für einfache Sachverhalte. Natürlich geht es ums Überleben trotz traumatischer Erfahrungen und die themenbezogene Klimakatastrophe darf natürlich nicht fehlen. Dazu stoßen neu ein paar Frauen als Träger des Lebens in finsteren Zeiten hinzu. Mehr muss nicht sein.

Der Film setzt konsequent auf seine zwei Hauptdarsteller, die die Kinokasse beleben und einfach nur großartig agieren: Tom Hardy, auf Mimik und Aktion reduziert, an den jungen Mel Gibson erinnernd, darf einer unglaublichen, einarmigen (!) Charlize Theron, die eine weitere einzigartige Facette ihrer Filmographie hinzufügen kann, zur Seite stehen.

Von Anfang an röhren die Motoren der abgefahrenen Autos und LKWs und es scheint, als ob die Kraftstoffzufuhr nicht einmal unterbrochen wird. Entstanden ist das alles vorwiegend mit handgemachter Action, die in Verbindung mit der starken Kameraarbeit - hineinzoomen in Szenen und das Einfrieren des Bildes - dem Film einen einzigartigen Look verpasst. Die wunderbar altmodische, mechanische Ausstattung rundet diese Optik liebevoll ab (und erinnert so z. B. an die besten Filme von Jeunet und Caro).

Entstanden ist ein großartiger Genrefilm, der auf viele Konventionen des Starkinos pfeift und damit einzigartiges Autorenkino im besten Sinne des Wortes ist - einfach nur ein bildgewaltiges und irritierendes Kinoerlebnis.

Semi-Pro:
Wer hätte Mitte der 1990er-Jahre gedacht, dass der sympathische Mel Gibson, von einem Cineasten-Freund liebevoll „Mad Mel“ genannt, auch im Privatleben gern über die Stränge schlägt? Keine Ahnung, ob dies ihn die Hauptrolle in der Neuauflage/Fortsetzung gekostet hat, ein wenig schade ist sein Fehlen allerdings schon. Immerhin ist Gibson einer der Gründe, weshalb die »Mad Max«-Trilogie Kultstatus genießt. Aber vielleicht war die Umbesetzung Teil des Konzepts, das der inzwischen 70-jährige(!) Regisseur George Miller mit »Mad Max: Fury Road« verfolgte.

Fakt ist: Der vierte Streifen der Reihe ist ein feixender Stinkefinger gegen alles, was Hollywood derzeit erfolgreich macht. Denn Miller hat entgegen aller Erwartungen einen Actionfilm inszeniert, wie ihn die Traumfabrik seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr produziert hat. Grund eins: die Stuntarbeit. Statt wie die (erfolgreiche) Konkurrenz des »Fast & Furious«-Gedöns die Regeln der Physik zu ignorieren und vornehmlich auf Computertricks zu setzen, gibt es in »Mad Max: Fury Road« handgemachte Action der alten Schule, vollführt mit Fahrzeugen aus der Sonderedition „Lego für Freaks“. Allein fürs Zuschauen sollte es eine Anschnallpflicht im Kino geben.

Grund zwei: die Charaktere. Obwohl der gute Max Rockatansky (Tom Hardy) zunächst als Protagonist verkauft wird, ist es in Wahrheit Furiosa (Charlize Theron), die die Handlung vorantreibt. Max kreuzt ihren Weg auf der Flucht vor dem Warlord Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne), der dank Furiosa nun auch um sein Erbe fürchten muss, hat sie doch fünf junge Mädels, die ihm als „Gebärmaschinen“ dienen, mit im Gepäck. Dementsprechend genervt sind die Damen vom Auftauchen des Einzelgängers, zumal der außer unverständlichen Grunzlauten kaum etwas von sich gibt. Zudem versteckt Regisseur Miller seinen Hauptdarsteller in der ersten Hälfte seines Films hinter einer Maske (hallo, Bane!), nur um ihn im weiteren Verlauf lediglich als Handlanger der taffen Furiosa zu inszenieren. Als sie schließlich ihr Ziel erreichen, ist es wiederum eine weibliche Ü50-Vagabundentruppe, die sich der männlichen Armee von Joe entgegenstellt.

Nun könnte man Miller vorwerfen, ein Nichts an Handlung mit einem Maximum an Schauwerten kaschieren zu wollen. Frau sieht das aber vielleicht anders. Denn »Mad Max: Fury Road« ist der mit Abstand femininste Actionfilm seit James Camerons »Aliens« (1986). In einer von männlichen, verrohten Horden beherrschten Einöde sind Frauen hier die einzigen Individuen mit Verstand, Durchsetzungskraft und einem Rest Menschlichkeit im Leib, die ohne die Hilfe eines Mannes ihren Weg zu gehen fähig sind. So ist es nur folgerichtig, Max am Ende weiterziehen zu lassen, während Furiosa und ihre Mitstreiterinnen einen zivilisatorischen Neuanfang wagen.

Hut ab, Mr. Miller!

P.S.: »Mad Max: Fury Road« feierte seine Europapremiere auf dem diesjährigen Cannes Film Festival. Dort wurde an einem anderen Tag prominenten weiblichen Gästen der Gang über den Roten Teppich verwehrt, da sie sich weigerten, unbequeme Absatzschuhe zu tragen. Gleichberechtigung, was war das noch mal?

Csaba Lázár