25. September 2015

Gar nicht so einfach

Pro & Contra Ich und Kaminski
Gar nicht so einfach
„X-Filme“-Mitbegründer Wolfgang Becker verfilmt einen Roman von Daniel Kehlmann. Das Ergebnis wird in der Redaktion des Kinokalender Dresden unterschiedlich aufgenommen.

Pro
Pro Kaminski

Es passiert nicht viel in diesem Film. Zwei Männer fahren ans Meer, ein junger und ein alter. Der rastlose Kunstkritiker Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) ist auf der Suche nach dem ultimativen Sprungbrett, das ihm der Alte sein soll. Der greise Maler Kaminski (Jesper Christensen), dessen Markenzeichen es ist, auf der Höhe seines Erfolges erblindet zu sein, wartet auf den Tod. Der verschwitzte Ehrgeizling kommt ihm da gerade recht, er bringt ein wenig Abwechslung in de Schweizer Berge, wo Kaminski seit Jahrzehnten ganz abgeschieden lebt. Seine Tochter Miriam (Amira Casar) wird ausgetrickst, die beiden so unterschiedlichen Herren machen sich auf den Weg zu des Malers Jugendliebe, über deren Verlust er nie hinweggekommen ist. Therese (Geraldine Chaplin) aber, die unvergleichliche, lebt in einem biederen Häuschen im Norden, umsorgt von ihrem dritten Mann, die Fernbedienung fest umklammernd auf das nächste Millionenspiel wartend. Selbst Kaminskis Vornamen erinnert sie falsch, vielleicht leidet sie auch an Alzheimer. Dass er ein bedeutender Künstler ist, erinnert sie kaum. Vielleicht will sie aber auch nicht zurückschauen, zu plötzlich platzen die beiden Männer in ihr spießiges Heim. Und man weiß in dieser Geschichte ohnehin nie, ob jemand aufrichtig ist. Es findet viel Selbst- und Fremdtäuschung statt, falls jemand die Wahrheit sagt, tut er das eher aus Versehen oder auch ganz gezielt, mit der Absicht, zu verletzen.

Wolfgang Becker hat lange pausiert nach seinem großen Erfolg mit »Goodbye Lenin«. Daniel Kehlmanns leichtfüßige Satire über den Kunstmarkt und seine Protagonisten ist eine Steilvorlage für das, was er am besten kann - gute Unterhaltung mit Anspruch, aber ohne überflüssigen Tiefgang. Becker ist kein Mann der Andeutungen. Alles was er zu sagen hat, spricht er deutlich aus, selten lässt er etwas in der Schwebe. Wer eine subtile Reflexion über Kunsterzeugung und -verwertung von ihm erwartet, ist hier sowieso falsch. Feinsinnigkeiten waren Beckers Sache nie, dafür ein Hang zu Klamotte. Er geht darin, aber nie zu weit, drum verzeiht man ihm sogar, dass der Kunstkritiker im Finale ganz eins zu eins zu Kehlmann seine überflüssig gewordenen Manuskriptseiten ins Meer flattern lässt. Bisschen sehr plakativ, aber Brühl schleppt das schon weg.
»Ich und Kaminski« ist ein schöner Film über Vergeblichkeit. Die Persiflage auf den Kunstbetrieb dient Becker dazu, sich mit dem Alter auseinanderzusetzen. Aus den Härten des langsamen Vergehens ist der rote Faden gesponnen, der die Kapitel des Films zusammenhält. Und nur einer wie Becker findet so kontrastreiche Bilder zu den weisen Sprüchen Kehlmanns. „Ich war keiner von den Großen, aber manchmal war ich gut.” Oder “Alles wichtige erreicht man in Sprüngen”. Ja, schon klar. Solcherlei Erkenntnisse sind an der Theke einer Imbissbude am besten aufgehoben. Jesper Christensen, wie König Lear in einen dunkelroten Schlafrock gewandet, kauft man sie gern ab, so leichtfüßig und ironisch flattern sie ihm von der mürben Lippe. Auch sehr schön, wie er seine Vertrautheit mit den Künstlern der klassischen Moderne bekundet. Duchamp, der Friseur! Genau.

»Ich und Kaminski« bietet den aberwitzigsten Prolog seit »Die fabelhafte Welt der Amelie«. Picasso, Matisse, eben all jene, die der Durchschnittskunstverbraucher kennt und zu lieben glaubt, werden darin sanft durch den Kakao gezogen.
Ein schöner Film auch über die Eitelkeiten von gestern, heute und morgen.
Grit Dora


Semi-Pro:
Man könnte es fast für einen genialen PR-Coup halten: Vor wenigen Wochen buddelten Bauarbeiter auf Geheiß der Berliner Senatsverwaltung den legendären Granit-Kopf des Lenin-Denkmals wieder aus, das von 1970 bis 1991 den heutigen Platz der Vereinten Nationen in der Hauptstadt zierte. Späte Berühmtheit erlangte das Kunstwerk noch einmal im Jahre 2003, als es in einer Szene des Kinoerfolgs »Good Bye Lenin!« auftauchte. Regisseur: Wolfgang Becker. Abgesehen von zwei Kurzfilmen ward von Becker seither nichts mehr auf der großen Leinwand zu sehen. Doch nun, mit Wladimir Iljitsch Uljanows Rückkehr, ist auch Becker wieder da, wieder mit Daniel Brühl in der Hauptrolle, und wieder mit einer melancholischen Komödie, die bis auf wenige Schwächen vor allem eines ist: richtig gute Unterhaltung.

Basierend auf Daniel Kehlmanns gleichnamigem Roman, erzählt »Ich und Kaminski« von der Begegnung zweier Männer, die auf einem Gebiet besonders talentiert sind: der Manipulation ihrer Mitmenschen. Auf der einen Seite der Kulturjournalist Sebastian Zöllner (Brühl), für den der Begriff „Selbstüberschätzung“ erfunden wurde. Auf der anderen Seite der weltweit bewunderte Maler Manuel Kaminski (Jesper Christensen), dessen Ruhm teilweise darauf begründet, dass er große Kunst mit blinden Augen erschaffen hat. Zöllner will genau diesen Fakt als Lüge entlarven. Wenn dabei noch eine halbwegs lesbare Biografie rumkommt, umso besser. Allerdings zeigen sowohl der alte Mann als auch dessen Tochter wenig Kooperationsbereitschaft, was Zöllner zu zweifelhaften Mitteln greifen lässt.

Bevor es soweit ist, zünden Regisseur Becker und sein Hauptdarsteller im ersten Drittel des Films ein herrlich böses Gagfeuerwerk ab, das es in sich hat: Zöllner pöbelt sich zum Ort des Geschehens, wirft der Umgebung, egal ob Schaffner, Pensionsbesitzerin oder Kuh, seine Überheblichkeit wie eine Sahnetorte ins Gesicht, und lädt sich gleich mal selbst zum Dinner bei seinem „Opfer“ ein. Allein diese eröffnenden 30 Minuten sind in ihrer Mischung aus Wortwitz, Slapstick und Albernheit eine Sternstunde in Brühls Karriere, die ja einst dank Becker so richtig ins Rollen kam. Ergo: Die Zwei können immer noch perfekt miteinander!

Leider hält »Ich und Kaminski« dieses hohe Tempo nicht, obwohl sich die Handlung im weiteren Verlauf hauptsächlich on the road abspielt. Zwar giften sich Zöllner und Kaminski im Auto weiter an, ihrem Trip hätte die eine oder andere überraschende Seitenstraße jedoch gutgetan. Als Entschädigung gibt es immerhin die großartige Geraldine Chaplin im finalen Akt, die die beiden Angeber mit ihrer Ehrlichkeit ganz still werden lässt. Schön zu sehen, dass selbst die lautesten Schaumschläger in Anwesenheit einer Dame lernen, ihr Ego zu zügeln.

Vielleicht sollten die Kids und dieser eine schnieke Lehrer aus »Fack ju Göhte 2« gerade deshalb »Ich und Kaminski« mal auf ihren Lehrplan setzten. Täte diesen nervigen Schreihälsen sicher ganz gut …

Csaba Lázár

http://www.ichundkaminski.x-verleih.de