23. Dezember 2015

Gott wird enttarnt!

kein großes Elend, nur kläglicher Alltag - Pro & Contra »Das brandneue Testament«
Gott wird enttarnt!
Was erlauben, Jaco Van Dormael? Der Belgier schreibt in seinem neuen Film mal eben die Heilige Schrift um und provoziert darin auf witzige Weise mit streitbaren Thesen.
In der Redaktion des Kinokalender Dresden wird das unterschiedlich aufgenommen.

Pro
Der belgische Regisseur Jaco Van Dormael hat sich ausgiebig mit den letzten Fragen beschäftigt und einen sehr erleuchteten Film gedreht, ein schönes Beispiel für investigativen Journalismus. Gott wird enttarnt. Steuergelder hat der Allmächtige keine veruntreut, so schlimm ist es nicht. Nur leider kann keine Rede mehr sein von einem netten, leicht vertrottelten Opa, der am ersten Tag das Licht erschuf und erst am vierten Tag Sonne, Mond und Sterne.
Gott ist ein sadistisch veranlagter, harter Hund, dem die Schönheiten der Schöpfung nur versehentlich passieren, während er seine geballte prollige Energie in den fiesen Teil der Sache steckt. Der liebe Himmelsvater ist sehr sehr wütend, weil er in einer ranzigen Brüsseler Wohnung ein Scheißleben führt. Die Menschen müssen es ausbaden. Zum Glück ist Unser Herr nicht der hellste und stiftet mit seinem lahmen Uraltcomputer lange nicht so effizient Unheil, wie er es gern hätte. Wobei es ja auch so schon reicht.

Es ist schon herzerwärmend, wie charmant und liebevoll Jaco Van Dormael die christliche Religion auf die Schippe nimmt. Er geht dabei keineswegs subtil und bedeutungsschwanger, sondern ganz buchstäblich vor – mit einem krachenden Hau-den-Lukas-Humor.
Als Éa, die zehnjährige Tochter Gottes („Alle sprechen immer von seinem Sohn – niemand von seiner Tochter.“) die Nase vom häuslichen Elend mit diesem Tyrannosaurus und seiner verhuschten Frau endgültig voll hat, verlässt sie die miese göttliche Schaltwarte durch Mamas Waschmaschine, die in einen ewig langen engen Gang mündet, eine Art blechernen Geburtskanal. Gott folgt ihr wenig später durch den gleichen Tunnel. JC (Jesus Christus) hat die Dreiraumwohnung schon vor langer Zeit so verlassen. Die Waschmaschine ist eine schöne Metapher auf die menschliche Ankunft im irdischen Dasein, wie auf das Leben im Gefühlsdauerschleudergang, das des Schöpfers ausgeklügelter Sadismus den Erdenbewohnenden bereitet.

Éas Botschaft, dass auf das Diesseits rein garnix folgt und man sich sein Paradies schon auf Erden organisieren sollte, kommt bei der Bevölkerung nicht besonders gut an. Ausnahmslos allen Figuren, die sie trifft, geht es tendenziell eher beschissen – dabei findet kein großes Elend statt, nur kläglicher Alltag. Ihre sechs Apostel, die sie ziemlich willkürlich in Papas Zettelkasten gegriffen hat, könnten disparater nicht sein. Daraus entwickelt Jaco Van Dormael maximale Situationskomik.

Victor, der Penner, Éas irdischer Begleiter, hält die Weisheiten der neuen Apostel in einer Kladde fest. Am Ende ist das brandneue Testament ein Bestseller. Victor glänzt in weißem Anzug und zurückgegelten Haaren bei der Signierstunde, während Gott verschwitzt in einer usbekischen Waschmaschinentaktstraße Dienst tut, verzweifelt auf der Suche nach einer Trommelöffnung in Richtung Heimat.
Doch das Türchen der himmlischen Waschmaschine hat Göttin, seine vormals so geduckte Frau, geschwind geschlossen. Beherzt wagt sie den Neustart der alten Computermöhre und ordnet ein paar wesentliche Dinge neu. Und sie sah, dass es gut war.
Auf eine sehr heitere Weise ist Jaco Van Dormael auch Feminist.

Grit Dora

Contra:
Ob es an Weihnachten liegt? Anders lässt sich wohl nicht erklären, dass ausgerechnet ich, ein überzeugter Atheist, mich bereit erklärt habe, »Das brandneue Testament« vom ‚Contra‘-Standpunkt aus zu betrachten. Also quasi schlecht zu reden, obwohl es meinem Blick auf „Gott und die Welt“ viel näher kommt als das, was gemeinhin von Seiten der Kirche propagiert wird. Nun gut …

Gleich zu Beginn stellt sich natürlich die Frage: Darf man so etwas produzieren? Denn wir leben momentan in Zeiten, in denen Glaubensdiskussionen nicht nur verbal, sondern leider immer häufiger gewalttätig geführt werden. Andererseits: Der Wert einer Religion lässt sich auch daran erkennen, inwieweit sie kritikfähig ist und „über sich selbst lachen kann“. Blöderweise scheinen jedoch immer weniger Menschen Spaß zu verstehen.

Ist das die Schuld der Filmemacher? Keineswegs! Tatsächlich gehen die Autoren Jaco Van Dormael und Thomas Gunzig clever vor, wenn sie anfangs die Rolle bzw. die Funktion der Frau in der Bibel hinterfragen – und aus dem ‚passiven Beiwerk‘ zentrale Figuren für ihren Film machen: So verliert in ihrer Geschichte der jähzornige Gott ziemlich schnell die argumentative Oberhand über seine zehnjährige Tochter Éa und muss sich ganz am Ende gar seiner stets folgsamen Frau geschlagen geben, die während des Putzens (wobei sonst?) mal eben den Lauf der Dinge ändert. Es sind feine Spitzen wie diese, die beim Zuschauen richtig viel Spaß machen und wohl keinem tiefgläubigen Zuschauer wehtun dürften/sollten.

Heikler wird es da schon bei Éas Suche nach neuen Aposteln, die sie unter den modernen Menschen zu finden hofft. Dass es sich dabei nicht um die bravsten aller Erdenbürger handelt, ist wenig überraschend. Mit François befindet sich unter ihnen jedoch ebenso ein frustrierter Versicherungsvertreter, der sein Heil im Töten anderer sucht – und sich dank Éa in seinem Handeln nun bestätigt fühlt. Glaube-Überzeugung-Totschlag: Reduziert auf diese drei Komponenten, entsteht so eine Handlungskette, die mit Blick auf die reale Welt sauer aufstoßen lässt.

Eine andere Behauptung, die nicht jedem Gläubigen schmecken wird: Gottes Faible für fiese Streiche gegenüber seinen "Fans" sowie seine offenbare Unfähigkeit, eigenes Handeln zu reflektieren bzw. veränderten Verhältnissen und Gegebenheiten anzupassen. Sehr schön zu erkennen bei seinem ungewollten Aufenthalt unter den Sterblichen, der Ihm mehr als einmal eine blutige Nase beschert.

Es sind provokante Fragen, die »Das brandneue Testament« aufwirft: Handelt Gott vielleicht gar nicht zum Wohle der Menschen? Ist die Glaubensschrift ein längst überholtes, mit der Realität in keiner Weise mehr zu vereinbarendes Büchlein für ewig Gestrige? Ist die Welt ohne Ihn, ergo: ohne Religion an sich besser dran? Imagine that!

Schlussendlich ziehen Van Dormael und Gunzig dann doch den Schwanz ein und bleiben die Antworten schuldig: Statt Gott gibt es nun eine coole junge Éa, Er selbst erlebt als Flüchtling ‚Nächstenliebe‘ am eigenen Leib, und alle anderen, die sich zuvor bekriegten oder ignorierten, haben sich plötzlich ganz dolle lieb. Klingt wie ein rosarotes Märchen. Aber wer sagt, dass das nicht auch irgendwann wahr werden kann?

Csaba Lázár

http://www.dasbrandneuetestament-derfilm.de