27. Januar 2016

Inhaltlich aufgeblasen oder starker Tobak zum Mitleiden

der große Favorit bei der anstehenden OSCAR-Vergabe - Pro & Contra »The Revenant – Der Rückkehrer«
Inhaltlich aufgeblasen oder starker Tobak zum Mitleiden
Mit 12 Nominierungen gilt der neue Film von Alejandro González Iñárritu als großer Favorit bei der anstehenden OSCAR-Vergabe. Damit ist in der Redaktion des Kinokalender Dresden nicht jeder einverstanden.

Pro:
Neues Jahr, neuer Film, neues Glück? Nachdem die Damen und Herren der ominösen Academy 2007 endlich Erbarmen zeigten und Meisterregisseur Martin Scorsese nach sechs Nominierungen in 26 Jahren endlich einen „Oscar“ gönnten, wartet sein Kumpel Leonardo DiCaprio leider immer noch auf den Goldjungen. Ob es diesmal klappt? Immerhin ist es inzwischen ebenso sein sechster Anlauf. Zu wünschen wäre es ihm, denn auch in »The Revenant – Der Rückkehrer« zeigt er einmal mehr vollen Körpereinsatz und fabelhaftes Schauspiel.

Wobei er möglicherweise gar nicht so viel „spielen“ musste. Glaubt man diversen Setberichten, Drehreportagen und Interviews, war die Entstehung des Survival-Dramas ein Abenteuer für sich: schwer zugängliches Gelände, unstete Wetterbedingungen, lebensgefährliche Stunts, monatelange Unterbrechungen, keine künstlichen Lichtquellen und dazu noch ein temperamentvoller Regisseur. Selten hat ein Film schon während der Entstehung so viele Negativschlagzeilen produziert.

Ganz umsonst war die Plackerei glücklicherweise nicht. Unabhängig vom Preisregen ist »The Revenant« starker Tobak zum Mitleiden. Die Kälte kriecht förmlich von der Leinwand in den Kinositz, die physische Tortur des Protagonisten Hugh Glass wirkt erschreckend real, während DiCaprio dessen psychischen Qualen äußerst glaubhaft in die nur Millimeter von seinem Gesicht entfernte Kameralinse presst. Bibber! Großen Anteil an dieser Distanzlosigkeit hat zweifellos die geringe Schnittfrequenz während der gesamten 156 Minuten. »Birdman« im Dschungel sozusagen, statt Percussionjazz auf der Tonspur nun jedoch mit (zu Recht) schlecht gelaunten Indianern im Dauerangriffsmodus.

Oberflächlich eine simple Rachegeschichte, kann »The Revenant« auch als Parabel der Rache der Natur an den Menschen durchgehen. Die bedienten und bedienen sich schließlich rücksichtslos an den Schätzen der Erde und müssen dafür nun ein bitteres Martyrium erdulden. Zunächst Leos Charakter Glass, der auf sich allein gestellt in die Zivilisation zurück robben und diversen Gefahren trotzen muss, später sein ehemaliger Kamerad John Fitzgerald (Tom Hardy), der Glass verletzt zurückließ und nun von diesem „lebenden Toten“, der inzwischen „eins“ mit der Natur zu sein scheint, gejagt wird. Glass wird somit zu einer Art schlechtem Gewissen Fitzgeralds, das sich nicht abschütteln lässt, bis der sich ihm stellt.

Vielleicht wollte Iñárritu aber auch nur einen krassen Streifen drehen und schert sich überhaupt nicht um irgendwelche Interpretationen von Möchtegern-Rezensenten. Soll mir recht sein, solange solch erinnerungswürdige Filme dabei rauskommen. Und endlich ein Oscar für Fleißbienchen Leo.
Csaba Lázár

Contra
Alejandro González Iñárritu fügt seinem bisherigen Werk einen weiteren überdurchschnittlichen Film hinzu, ohne Frage. Doch diesmal überzieht er und herausgekommen ist ein seltsamer Hybrid. Einerseits ein visuell aufregender und durchkomponierter Film, der die Zuschauer und die Academy in seinen Bann ziehen wird. Andererseits ein inhaltlich aufgeblasener Film, der den Zuschauer irritiert und am Ende gar gelangweilt entlässt. Weder werden Freunde des Genres noch das an Erbauung und Bildung interessierte Publikum zufrieden gestellt.

Doch vielleicht der Reihe nach. Die Bildgestaltung von Emmanuel Lubezki, einem mexikanischen Landsmann von Iñárritu - der mit »Bittersüße Schokolade« begann und mit »Gravity« oder »Birdman« Meisterhaftes schuf - ist unglaublich. Allein der Überfall zu Beginn ist ganz, ganz großes Kino. In einer Einstellung gedreht, schwebt der Zuschauer zwischen den Pfeilen und Kämpfern, atemberaubend. Dazu die Naturaufnahmen und Traumsequenzen, auch hier gelingt es ihm, neue Facetten zu zeigen und zu überraschen, einzigartig.

Die eigentliche Geschichte verkürzt Iñárritu - ja, auf was eigentlich? Mann rächt den Tod an seinem Sohn. Ausführlicher vielleicht so - ein Mann wird vom Grizzly schwer verletzt, seine rauen Kollegen verhalten sich bis auf einen ehrenwert. Der, John Fitzgerald, eigentlich der einzig komplexere Charakter (Tom Hardy verschafft ihm Profil), verrät die kleine zurückgelassene Gruppe. Hugh Glass muss wehrlos den Verrat und Mord ertragen und schwört Rache, die er am gefühlt sehr langen Ende vollziehen will, aber doch noch nicht kann. Geht es also um Religiöses - nur Gott darf richten - oder um Menschen im Frost im Allgemeinen? Auf alle Fälle wenig Substantielles und Bedenkenswertes.

Eingebettet ist die Geschichte in einen uns seltsam bekannt vorkommenden Rahmen. Fremde Gebiete werden erschlossen, es geht um Ressourcen - hier Felle -, Macht und Frauen. Weiße und Indianer kämpfen mit und gegen einander, die Fronten sind fließend. Die Eroberung ist privatisiert, hier ist es die "Rocky Mountain Fur Company", heute heißen sie Blackwater, Academi etc.

Der vordergründige Realismus des Filmes scheint nahezu grenzenlos, umfangreich die Aufwendungen hierfür, um dem Film auch hinsichtlich Ausrüstung und Ausstattung möglichst nah in der Zeit zu belassen. Im ersten Moment fühlt man sich auch in einen J. F. Coopers Roman versetzt und wünscht sich nicht wirklich, in der Zeit mit diesen Gesellen gelebt zu haben. Doch zu viel des Guten - Stichwort Pferd und Grizzly - erzeugen etwas Gegenteiliges. Das Argument der historischen Figur zieht dabei auch nicht. Das historische Vorbild Hugh Glass durchlebte sein Martyrium zwei Monate im Sommer, im Fort verbrachte er einige Monate bis zu seiner vollständigen Genesung.
Der Film wird somit zu einem etwas salopp gesagt Hyper-Realismus, in seiner Professionalität und seinem Anspruch überzogen und damit letztlich unrealistisch - ein typischer Studiofilm aus Hollywood eben. Frost und Hunger dagegen haben eine sehr fiese Fratze.

Vermisst werden ebenso jegliche Formen von Ironie oder Humor, die fehlen schlicht. Verbunden mit der doch sehr unrealistischen Geschichte verstärkt es nach 100 Minuten das Gefühl der Ermüdung, und Langeweile schleicht sich ein.
Noch ein interessanter Aspekt. Der Film wird sozusagen zum Oscar Vehikel für Leonardo DiCaprio. Weltweit wird nun gerätselt, ob es nun endlich klappt mit dem Oscar für Leonardo. Mittlerweile bin ich skeptisch. Für diese schauspielerische Leistung hat er ihn eigentlich nicht verdient. Seine Darstellung reduziert sich leider, auch wenn im Gegenstand begründet, im Wesentlichen auf seine Mimik. Das wäre gelebte Ironie, mit Leiden und Stöhnen klappt es endlich mit dem Goldjungen, vierzehn Jahre nach »Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa«. Für seine Leistung des behinderten Arnie wurde er 1994 als bester Nebendarsteller für den Oscar und einen Golden Globe nominiert.
Mersaw

http://www.TheRevenant-derFilm.de