25. Februar 2016

Viel Lärm einfach nur um Nichts?

Meinungsverschiedenheiten nicht nur beim Publikum garantiert - Pro & Contra The Hateful Eight
Viel Lärm einfach nur um Nichts?
Wenn Quentin Tarantino ein neues Werk vorlegt, sind Meinungsverschiedenheiten beim Publikum garantiert. So auch in der Redaktion des Kinokalender Dresden.

Pro:
Promo ist heutzutage alles. Das weiß auch Quentin Tarantino, der schon im Vorfeld seines Westerns »The Hateful 8« ordentlich Staub aufwirbelte: Zunächst der versehentliche(?) Drehbuchleak im Internet mit anschließender Klage gegen eine Website, die das Skript verlinkte. Dann eine einmalige öffentliche Bühnenlesung desselbigen mit zahlreichen Hollywood-Stars, gefolgt von der Ankündigung, das Ding doch noch in leicht veränderter Form zu verfilmen. Aber nicht auf herkömmlichem Wege, sondern in einem „ausgestorbenen“ Format („Ultra Panavision“, 70mm) mit speziellen Kameralinsen und als so genannte Roadshow-Version, die in ausgewählten Kinos weltweit zusätzlich eine Ouvertüre, Pausenmusik sowie ein Programmheft bieten würde. Nichts, was den Gelegenheits-Kinogänger irgendwie tangiert. Cineasten hingegen reckten ihre unzähligen Fäuste für ein Halleluja gen Himmel und freuten sich auf die Premiere wie auf eine Pfanne dampfender Speckbohnen.

Im Film ist es dann zwar „nur“ ein Eintopf, aber der passt angesichts des Genre-Mix’, den »The Hateful 8« präsentiert, ganz formidabel. Denn bei Tarantino gibt es das Rundum-sorglos-Paket, ein Potpourri aus Western, Krimi, Drama, Komödie, Filmschule, Zitatenreigen. Das beginnt schon mit der Verpflichtung von Komponisten-Legende Ennio Morricone, der neben neuen Stücken nicht verwendetes Material aus »The Thing« (1982) beisteuerte. Ja, jener Horrorfilm von John Carpenter, in dem eine Gruppe von Wissenschaftlern während eines Schneesturms in einem Forschungslabor ausharren muss und schließlich aufeinander losgeht. Eine dieser Figuren wurde damals übrigens von Kurt Russell gegeben. Zufälle gibt’s… . Sehr viel größere „Inspiration“ holte sich QT jedoch bei Corbuccis »Leichen pflastern seinen Weg« (1968) mit dem Kinski Klaus.

Mag er sich also wie so oft auch diesmal wieder ziemlich unverblümt bei älteren Filmen bedienen, an eigenen Ideen mangelt es Tarantino nicht. Denn was oberflächlich wie ein etwas zu behäbig inszeniertes Kammerspiel zwischen acht Unsympathen wirken mag, führt unterschwellig jenen Kreuzzug gegen Rassismus, Vorurteile, Ungleichbehandlung und eine nur unzureichend aufgearbeitete Heimatgeschichte fort, den er mit seinem Vorgängerfilm »Django Unchained« startete. Alle acht Charaktere haben Verachtenswertes getan, sind jedoch von ihrer Rechtschaffenheit überzeugt und bereit, zum Erreichen ihrer Ziele Anderen Leid zuzufügen. Was ist Gerechtigkeit? Wie weit sollte Loyalität gehen? Wer spricht die Wahrheit? Problemlos lassen sich diese Fragen mit aktuellen Geschehnissen verknüpfen, die das fintenreiche Skript im Mikrokosmos eines Miederwarenladens stellt.

Da stört es fast schon ein wenig, dass diese Ernsthaftigkeit mit zunehmender Laufzeit immer wieder konterkariert wird: blutige Schusswechsel, sadistische Hinrichtungen Unbeteiligter oder zerplatzte Schädel sorgen zwar für eine Art „Comic relief“. Nötig gewesen wäre dies aber nicht. Und doch ist dieses Stilmittel eines der charakteristischsten des Filmemachers, für die ihn viele lieben und ebenso viele verabscheuen.

»The Hateful 8« könnte zu Tarantinos streitbarsten Werken werden, da er seinen Zuschauern sowohl bezüglich der Länge als auch bezüglich des Inhalts viel Geduld und Interpretationsbereitschaft abverlangt. Oder wie „Der Henker“ es formuliert: „Niemand sagt, dass dieser Job leicht werden würde.“

Csaba Lázár

Contra:
Quentin Tarantino sorgte 1995 für eine wahre Frischzellenkur des Kinos. »Pulp Fiction« wurde der Klassiker des postmodernen Kinos. Seitdem schuf Quentin mit immerhin sieben Filmen keinen einzigen Ausfall. Er mischte Genres, zitierte die Filmgeschichte im popkulturellen Neo-Retrodurchlauf und wurde damit zum Liebling an der Kasse und im Feuilleton - einfach einzigartig. Nun aber ist es passiert, zum ersten mal bin ich von seinem neusten Werk enttäuscht.

Viel Lärm um US-Urtraumata, Rassismus oder einfach um Nichts? Wohl eher letzteres. Profi genug, entwirft Tarantino ein meisterliches Expose. Großartige Schauspieler, allen voran ein bestens aufgelegter Samuel L. Jackson, entwickeln spannend die Geschichte eines seltsamen Zusammentreffens im mittleren Westen, einige Jahre nach dem Bürgerkrieg. Was anfänglich charmant und clever erzählt wird, fällt dann im fünften Kapitel sehr schnell auf eine absurd einfach aufgelöste Geschichte zusammen. Das letzte Kapitel setzt dem Film eine routinierte und lustlose Splatterpointe auf, die den Zuschauer leicht entnervt entlässt.

Immerhin 168 Minuten, in der 70-mm „Roadshow“-Fassung gar 187 Minuten wird der Zuschauer mit großen Reden, verdammt vielen „Nigger“-Ausrufen und jeder Menge unkorrekter Reden bespaßt. Anders kann man es nicht nennen, denn es löst sich das alles in den letzten Minuten im blutigen Un-Wohlgefallen auf. Sogar Samuel verliert wichtiges. Die Auflösung der Geschichte, von einem Twist oder einer unerwarteten Wendung kann ja wohl keine Rede sein, ist ein billiger Taschenspielertrick. Tarantino muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass moralische und politische Belehrung vorgetäuscht wird. Es sei denn seine grotesk überzeichnete Gewaltdarstellung ist als Kritik an US-amerikanischer Realität und dem Hang, vieles mit Gewalt zu lösen, zu verstehen.

Und auch nicht schön, die einzige Frau wird zum Racheprügel der männlichen Bastarde und bekommt es bis zum bitteren Ende so richtig besorgt. Gender-Mainstreaming geht anders.

Etwas absurd mutet auch die angepriesene 70-mm-Fassung an. Diese konnten nur wenige Kinos mangels technischer Voraussetzungen zeigen. Bei einem Kammerspiel wirkt so etwas auch leicht seltsam.
Alles in allem, etwas wenig Maestro. Aber was soll, Tarantinos Quote ist immer noch fantastisch, bei acht Filmen nur ein Ausrutscher. Das soll ihm erst mal jemand nachmachen.
Mersaw

http://thehatefuleight.com