9. Juni 2016

Lassen sie mich durch

Ich habe Durchfall! In der Schauburg »Rico, Oskar und der Diebstahlstein« gucken
Rituale sind schön, sie geben Sicherheit und helfen in Stresssituationen. Besonders Kinder brauchen feste Rituale, sagen die Experten. Regelmäßig verbringe ich lange Freitagnachmittage mit Tochter und Sohn (die beiden sind knapp sieben und elf Jahre alt) diskutierend in der Phase IV. Die rituelle Auswahl des Wochenendfilms ist ein langwieriger Prozess, der nach festen Regeln ergebnisoffen abläuft. Auch an diesem Freitag ist der erste Step der Spagat zwischen Action- und Kinderfilmregal.

Heute »Avengers« versus »Cinderella«. Eine klassische Pattsituation, die sich immer von selbst auflöst. Ich bin Elasti-Girl und entspannt. Den Langzeitvorschlag, ausnahmsweise einen Spielfilm mit “echten Menschen”, womöglich gar einen DEFA-Film auszuleihen, bringe ich nicht mehr. Der wurde nie genommen. Das Gezerre hört irgendwann auch so auf, alle suchen weiter. Fünf Minuten später wird das große Kind sauer, weil ich »Transformers 4« mit Rücksicht auf das kleine Kind nicht erlaube. Zumal sein Vorschlag schon Rücksicht enthielt. Eigentlich will der junge Mann »Deadpool« gucken. Wegen dir gibt es nur Babyfilme, blafft der Sohn unwirsch in Richtung Schwester. Die Erstklässlerin geht schmollend in die Horrorfilmecke. Ich erinnere an Tim Burtons »Frankenweenie« und gewisse Köpfe unter der Sofadecke. Das war doch Babykram, murrt sie, was ich weise unwidersprochen lasse. Schaut euch doch noch mal um, da drüben stehen die Komödien. Die beiden pendeln harmonisch zwischen Christopher Nolans »Batman«-Verfilmungen und »Sin City«. Welchen können wir? Gute Wahl, also ganz bald, in vier, sechs, acht Jahren ungefähr.

Konflikt liegt in der Luft, mir wird langsam warm. Die Erinnerung an Oswald Chesterfield Cobblepot in »Batmans Rückkehr«, an die Pinguin-Alpträume in den Wochen danach, schreckt nur mich. Hey, die Nolan-Filme sind noch viel, viel dunkler. Fragen wir doch den netten Typen am Tresen, der hat uns schon oft gut beraten. Das waren auch Babyfilme, schreien die beiden unisono. Dann leihen wir eben nix, raus hier, meine Stimme flattert. Wir trotten die Königsbrücker hoch, plötzlich eine Erleuchtung. Wollen wir in »Rico, Oskar und der Diebstahlstein«? Ich bin dem Sohn dankbar, weil er die Rico-Filme noch nicht für unter seiner Würde hält. Er liebt die in die Handlung eingestreuten Animationen nach Peter Schössows Buchillustrationen. Die Tochter liebt die Kessler-Zwillinge. Überhaupt sind wir Steinhöfel-Experten, wir haben das meiste von ihm gelesen, gesehen und gehört, alles was altersmäßig schon passt, höhö.

Wir sagen gern “Tieferschatten, Herzgebreche, Diebstahlstein“ – auf so Sachen muss einer erstmal kommen. Der Autor lässt ungerührt den knarzigen ollen Fitzke sterben, den die Kinder so sehr mögen. Das Leben halt. Keiner wird verschont. Die Steinsammlung, Fitzkes Vermächtnis, geht an Rico. Der Kalbstein verschwindet, die Jungs müssen an die Ostsee, ihn zurückholen. Auf dem Bahnhof verschaffen sie sich mit einem effektiven Codewort Zutritt zum Zug. Durchfall räumt den Bahnsteig auf. Die Abenteuerreise mündet in eine Szene am FKK-Strand, die Regisseurin Neele Leana Vollmar ganz lässig inszeniert hat - kein Kind rutscht deswegen peinlich berührt von der Sitzerhöhung. Ricos Mama und der Bühl sind wegen Knutschurlaubs entschuldigt, das geht in Ordnung.

Leinwandgeturtele nervt eh. Einzig anwesender Erziehungsberechtigter ist Oskars Vater Lars. Detlev Buck zeichnet ihn in seinen wenigen Szenen so überzeugend hilflos, dass wir nah am Heulen sind. Aber Rico, der immer wieder das Treppenhauslicht anknipst, verhindert Pathos. Nur schade, jetzt ist es vorbei - mit dem Diebstahlstein endet die Trilogie über die beiden ungleichen Freunde. Bleibt zu hoffen, dass Andreas Steinhöfel bald ein neues Buch fertig hat. Bis dahin gehen wir freitags in die Phase IV. Oder in »Bibi und Tina – Mädchen gegen Jungs« - sagt die Tochter. Solange es irgendwas mit Detlev Buck ist, bin ich dabei, sage ich. Ich gehe in »Deadpool«, sagt der Sohn.

http://www.fox.de/rico-oskar-und-der-diebstahlstein