4. August 2017

Gleich einem Virus wabert das Begehren

Verführerisch gut oder seelenlose Neuauflage?
Gleich einem Virus wabert das Begehren

Verführerisch gut oder seelenlose Neuauflage? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins über Sofia Coppolas neuen Film »Die Verführten«.

Pro

Reinweiß steht die Südstaatenvilla in dem großen verwilderten Garten. In Miss Marthas Pensionat sind während des Sezessionskrieges außer der Chefin nur fünf Mädchen und eine Lehrerin verblieben. Eine verschworene kleine Zwangsgemeinschaft. Sie sticken, lernen französisch, musizieren, spielen Fangen zwischen den dorischen Säulen. Die Umgangsformen sind exzellent. 

Von der Brutalität des Sezessionskrieges künden auf dem Grundstück nur die Umgebungsgeräusche. Pulverdampf und entfernte Detonationen, latente Bedrohung. Immer steht eine der Ladies auf dem Balkon und beobachtet die Umgebung. Sehr selten erscheinen Soldaten der eigenen Truppen. Miss Martha erbittet sich von ihnen Munition und verblüfft die Militärs mit dem Hinweis, dass sie mit einer Waffe umgehen kann. Eine wehrhafte Frau? 

Das ist die Ausgangssituation.

Als eines der kleineren Mädchen einen verwundeten Soldaten aufs Gelände schleppt, den sie beim Pilze sammeln entdeckt hat, entscheidet die Gruppe demokratisch, dass der Nordstaatler nicht sofort ausgeliefert, sondern zunächst behandelt und gepflegt werden soll, da sein Tod sonst sehr wahrscheinlich wäre.

In einer kurzen intimen Szene erzählt Sofia Coppola, wie durch die Versorgung der Wunde und die Reinigung des Verletzten das Begehren Einzug hält. Wie Nicole Kidmans Martha ihr glühendes Gesicht in dem Wasser kühlt, mit dem sie gerade Corporal McBurney (Colin Farrell) gewaschen hat, ist ganz großes Kino.

Gleich einem Virus wabert das Begehren durch die Villa und befällt alle Anwesenden. Der genesende Soldat erhält eindeutige und zurückhaltendere Angebote. McBurney reagiert mit eindeutigen Andeutungen, bietet wahlweise seine Freundschaft, sein Herz oder seinen Dienst an. Colin Farrell spielt das nicht irre bandbreitig, zeigt aber überzeugend Hilflosigkeit. Miss Marthas straffe Hand hält zunächst alles im Zaum, am meisten die eigenen Wünsche. Die fantastische Nicole Kidman führt ein  aufregendes Schwanken zwischen Hingabe und Kontrolle vor. 

Die Frauen zeigen ihre Gefühle, inwieweit der Mann manipuliert oder wahrhaftig ist, lässt Coppola offen.

Das verwilderte Grundstück funktioniert hervorragend als Sinnbild des wuchernden Begehrens. Wenn der Corporal darauf hinweist, dass der Garten dringend von einem Mann gepflegt gehört, und Miss Martha dankend ablehnt, genügt Nicole Kidmans hochgezogene Augenbraue, um den Subtext klarzumachen. Ihre Autonomie zu gefährden ist keine Option für sie.

Als McBurney verschiedenen Schlafzimmern nicht mehr widerstehen will und es zum Gewaltausbruch kommt, reagiert Martha schnell und präzise. 

Die finale Katastrophe bewältigt die siebenköpfige Frauengruppe, indem sie gesellschaftlich akzeptierte weibliche Fertigkeiten auf unkonventionelle Weise nutzt. Wer einen Truthahn tranchieren kann, kriegt auch eine Amputation hin. Ein perfektes Leichentuch zu nähen ist ohnehin ein Klacks. Die Stiche schön eng! In zwei, drei kurzen Einstellungen flirtet die Regisseurin hier schön schwarzhumorig mit dem Horrorgenre.

Die herausragenden malerischen Qualitäten des Filmes, das theatrale Licht, der zurückhaltend elegante Sound, die Souveränität, mit der Nebenthemen ausgespart werden, machen den Film schon zum Meisterwerk. 

Beeindruckend subversiv an Coppolas Adaption des Romans „The Beguiled“ von Thomas P. Cullinan aber ist das Selbstverständnis der isolierten Frauengruppe. 

Das Begehren der Frauen sprengt die Gruppe nicht. Es mündet nicht in den Kampf mit dem eigenen Geschlecht, nicht in Selbstzerstörung – es macht den männlichen Körper zum Material.

Ein selbstbewusster Film.

Grit Dora


Contra:

Neid und Eifersucht sind zwei der zentralen Themen in Sofia Coppolas neuem Werk »Die Verführten«. Nicht nur die Charaktere auf der Leinwand sind davon betroffen sondern auch der Autor dieser Zeilen, der sich beim Kinobesuch natürlich prompt in die Rolle des männlichen Hauptdarstellers Colin Farrell hinein träumt. Der wird darin nämlich von Nicole Kidman, Kirsten Dunst und Elle Fanning umsorgt, gepflegt und gefüttert. Ein Traumjob, dieses Schauspielerdasein! Zumindest, bis die von Farrell gespielte Figur selbst in die Schusslinie gerät und es dann plötzlich nicht mehr mit hilfsbereiten Engeln sondern wütenden Furien zu tun bekommt.

 

»Die Verführten« ist Coppolas Adaption eines Romans von Thomas Cullinan. Dieser wurde bereits 1971 unter dem deutschen Titel »Betrogen« von Regielegende Don Siegel verfilmt, der die Rolle des zunächst beneidens-, dann bedauernswerten Soldaten John McBurney mit seinem Kumpel Clint Eastwood besetzte. Das fesselnde Drama bot dem »Dirty Harry«-Doppelgänger damals erstmals die Möglichkeit, sich auch abseits des Actiongenres als Schauspieler zu profilieren: Verletzt auf dem Schlachtfeld des amerikanischen Bürgerkriegs, findet der Nordstaatler McBurney Unterschlupf in einer Mädchenschule im Feindesland. Je länger seine Genesung dauert, um so mehr scheinen sich die Gastgeberinnen für ihn zu interessieren. Als er sich schließlich für eines der Mädchen entscheidet, hat das schmerzhafte Konsequenzen.

 

Nein, »Die Verführten« sei kein Remake von »Betrogen«, sondern eine Neuinterpretation der literarischen Vorlage. Trotz dieser Aussage Coppolas kommt man(n) nicht umhin, beide Filme miteinander zu vergleichen. Interessant ist dabei vor allem die Rolle des Verführers: Wurde er ’71 noch als lügender Charmebolzen ohne Skrupel entlarvt, kommt er nun als von Gefühlen getriebener Gentleman mit grünem Daumen daher, dem praktisch keine Vergangenheit, keine verborgene Agenda zugestanden wird. Der Fokus liegt 2017 ausschließlich auf den Frauenfiguren, die alle auf ihre Art ein Stück vom Gästekuchen abhaben wollen.

 

Das ist angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen in den vergangenen 46 Jahren zweifellos legitim. Nur scheint Coppola nicht wirklich etwas damit anfangen zu können. „Ihre“ Mädels bleiben bis auf Kidmans Miss Martha eindimensional, Konflikte zwischen ihnen gibt es trotz des Kampfes um die Zuneigung des Mannes nicht, und der Kerl legt sich schon zu Beginn auf „seine“ Braut fest. Eastwoods McBurney kam da ambivalenter daher, war ein Egoist in Reinform und damit viel unberechenbarer. Ebenso verwunderlich: Interessante Nebenkonflikte, wie beispielsweise der Umgang mit schwarzen Hausangestellten, werden völlig vermieden, ganz so, als störten sie die ohnehin unglaubhafte Harmonie im Hause.

 

Was also zeichnet die Neuadaption aus? Viele fragmentarische Szenen, wenig Nachvollziehbares im Agieren der Frauen, kaum Spannung. Also irgendwie dann doch wieder ein typischer Sofia Coppola-Streifen: eine Hälfte Exposition, eine Hälfte Stillstand. Das mag für die Auszeichnung als „Beste Regisseurin“ in Cannes reichen. Mir ist das jedoch zu wenig.

Csaba

http://upig.de/micro/die-verfuehrten