5. Mai 2010

Boxhagener Platz

Warum der Film unstimmig und gleichzeitig beeindruckend sein kann. Noch dazu wenn das Drehbuch von dem bekannten ostdeutschen Autoren Torsten Schulz stammt.
Boxhagener Platz
Contra:
Die Produzentin Nicole Swidler beschrieb ihren Film folgendermaßen: „Für mich war immer klar, das ist keine eigentliche Geschichte über die DDR. Sondern über die Lebens- und Überlebensmechanismen ganz normaler Leute. Die versuchen, ihre Träume, ihre menschlichen Überzeugungen in einer Welt aufrechtzuerhalten, die ihnen zunehmend unmenschlich erscheint.“ Sprach’s und begann damit, die Finanzierung für Matti Geschonnecks (Die Nachrichten) Romanadaption zusammenzustellen. Als Zuschauer, der lediglich zehn Jahre die SED-Diktatur ertragen musste, klingen Informationen wie jene, dass Geschonneck selbst am besagten „Boxhagener Platz“ zu Berlin aufgewachsen ist, beruhigend und spannend zugleich. Wie wird ein aus Ostdeutschland stammender Künstler seinen Blick auf die DDR gestalten?

Ein oftmals störendes Klischee in Filmen, die sich aus einer sicheren historischen Distanz dem Unrechtsstaat widmen, ist im verniedlichten und farblosen Abbild des Alltags zu finden. Die DDR war stets grau, die Schaufenster stets leer und zu Hause stets alles etwas schmuddelig. Dieses Bild entwirft auch Boxhagener Platz, aber egal, denn laut Produzentin Swidler geht es ja eigentlich gar nicht um die DDR, sondern um die Menschen darin. Insofern ist es nur konsequent, zahlreiche Szenen des Films an den immer gleichen Orten, mit dem immer gleichen Blickwinkel einzufangen (Esstisch, Straßenecke, Kneipe). Grenzen wohin man schaut, Ausbruch unmöglich. Welch passender optischer Rahmen.

Andererseits könnte diese geographisch-filmische Konzentration auch als schlichte Hilflosigkeit gedeutet werden. Wo kein Geld ist, gibt es keine alternativen Filmsets. So entsteht, verstärkt durch eben jene immer gleichen Blickwinkel der Kamera, leider auch eine gewisse Monotonie beim Zuschauen. Langeweile wäre hierfür das passende Synonym, in den Augen des Filmkritikers soll das Urteil „schlechte Kameraarbeit“ (Martin Langer) genügen. Verstärkt wird diese ermüdende Schwere durch zusätzliche unnötige Nebenhandlungen (ein Schulfreund wird von seinem Vater misshandelt) im Verlauf des Films. Merke: Lasse einen Romanautor niemals sein eigenes Werk als Drehbuch verfassen, da er keinen seiner Charaktere raus kürzen wird!
So schwankt Boxhagener Platz zwischen treffender Alltagsstudie und langatmiger Pseudodramatik, die mitunter aufgesetzt und überflüssig wirkt. Nur ein wenig mehr Ideenreichtum bei der optischen Umsetzung hätte dieses Manko sicherlich kaschiert. Csaba Lázár

Pro:
Lieber Kollege, der beschriebene Film ist keine Alltagsstudie, er ist ein Kunstwerk! Er bildet das Leben in der DDR nicht ab, sonst hätten wir es mit einer Dokumentation zu tun, aber es hätte ja so sein können.
Die geschichtlichen Ereignisse hat es 1968 gegeben, auch der Spartakusbund war real und zweifellos haben vor der Machtergreifung der Nazis auch „kommunistische“ Kreise punktuell mit ihnen zusammengearbeitet. Die Stasi hat es gegeben, und sie hat mit den hier beschriebenen Methoden gearbeitet, die offiziellen Kundgebungen und Jubelgesänge hat es gegeben und die Pioniernachmittage natürlich auch – alles schon vergessen? Daneben haben die Kriegserlebnisse wohl noch viele Jahre in die Familien – in Ost und West – hineingewirkt, im hier beschriebenen Zeitraum sicher noch mehr als in den späten 80er Jahren, als es mit dem kleinen Land langsam zu Ende ging. Die Reaktion auf all diese Umstände war neben einem speziellen Humor, neben dem „zwischen den Zeilen Lesen“ in Kunst und Kultur sicher auch ein verstärkter Alkoholgenuss, dem im Film breiter Raum gegeben wird.

Es war nun mal mit den 16 Mill. Einwohnern und einer dichten Grenzen ringsherum ein sehr kleiner Kosmos, in dem sich das alles abspielte. Wenn es dir langweilig vorkam, dann weil es so war!
Der Film heißt ja auch Boxhagener Platz und nicht „Berliner Stadtrundshow“ – es ging also gar nicht darum die Vielfalt darzustellen, die es in einigen Nischen sicherlich gegeben hat, sondern um die Tristesse, die herrschte, während „draußen“ der Beat tobte.

Da kann man nur anerkennen: Ziel erreicht! Über das hervorragenden Schauspielerensemble, allen voran Gudrun Ritter, es nicht nötig viele Worte zu verlieren. Dazu Michael Gwisdek, Jürgen Vogel, Horst Krause, Meret Becker – große Klasse – und der Regisseur mit dem bekannten Vater hat sie alle unter einen Hut bekommen, wobei ich glaube, dass das nicht schwer war. Bestimmt hatten alle viel Spaß bei der Arbeit, denn nun ist es ja Geschichte und man kann getrost drüber lachen. Auch über sich selbst, schließlich haben wir den ganzen Quatsch mitgemacht. Diese augenzwinkernten Pointen durchziehen den Film sehr konsequent, jede Figur spielt ihre Rolle, sei es der „hormonsexuelle Sohn“ oder der glatzköpfige Schulfreund. Warum darauf verzichten? Aus den verschiedenen Puzzelteilen setzt sich doch der Mikrokosmos am Boxhagener Platz zusammen, darim liegt doch die Würze, auch wenn die Fassaden grau sind.

Natürlich werden reichlich Klischees zum Thema DDR bedient, die haben allerdings auch ihr Gutes: Zum einen weiß jeder sofort was gemeint ist, und zum anderen bergen sie doch immer auch ein Stück Wahrheit.
D. Lachter

http://www.boxhagener-platz-film.de