29. September 2010

Darf man, oder darf man nicht?

»Jud Süß – Film ohne Gewissen« - Zweigeteilt
Darf man, oder darf man nicht?
Oskar Roehler provoziert gern. Mit seinen Filmen „nur“ zu unterhalten, ist dem Regisseur offenbar nie genug. Er möchte Diskussionen anregen – so geschehen in der Redaktion des Kinokalender Dresden nach Sichtung von »Jud Süss – Film ohne Gewissen«.

Pro:
Groß war das Theater nach der ersten Pressevorstellung seines neuen Werks auf der Berlinale Anfang des Jahres: Von „Geschichtsklitterung“ war da die Rede, „Verantwortungslosigkeit“ und „Legendenbildung“. Denn Roehler und sein Autor Klaus Richter hätten ihr Drehbuch über die Entstehungsgeschichte des tatsächlich existierenden Nazi-Propagandafilms »Jud Süß« aus dem Jahr 1940 ausgeschmückt, ergänzt, verändert. In einem Wort: manipuliert.

Dies kann man ihnen vorwerfen – oder als „künstlerische Freiheit“ anerkennen. Ich tendiere zu Letzterem, auch wenn dies für viele Zuschauer aufgrund der (leider?) immer noch heiklen Thematik Nationalsozialismus inakzeptabel sein mag. Fakt ist jedoch, dass dies erstens ein gängiges Mittel der Branche ist und zweitens, wie oben erwähnt, Roehler kein Macher oberflächlicher Unterhaltungsware ist. Was er in »Jud Süss – Film ohne Gewissen« verdeutlichen will, ist die Verführungskraft von Erfolg, von Anerkennung, von Goebbels. All dem erliegt sein Protagonist Ferdinand Marian – und zerbricht letztendlich daran. Doch statt das zu kritisieren, zu hinterfragen oder an den Pranger zu stellen, überhöht es Roehler, indem er mehrere reale Vorbilder in einem Charakter vereint, einen Großteil seiner Szenen theatralisch inszeniert und den Anstrich einer Seifenoper gibt, sowie Moritz Bleibtreu bei der Darstellung seines Goebbels völlige Narrenfreiheit gewährt.
Die scheinbar fehlende Distanz und die offen zur Schau gestellte Attraktivität der Nazis ist Roehlers Herausforderung an das Publikum: Kann es denn selbst dem Charme von Goebbels & Co. widerstehen? Hat es selbst den Mut, dem Propagandaminister einen Aschenbecher vor die Füße zu hauen? Und vor allem: Kann es Marians Entscheidung, die Rolle anzunehmen, nachvollziehen?

»Jud Süss – Film ohne Gewissen« ist keine Biographie, keine Dokumentation, kein Kriegsfilm. Vielmehr zeigt der Film – auch durch das bewusste Abändern von Fakten – ebenso wie seine historische Vorlage die Verführungsmöglichkeiten durch das Medium auf, die lächerliche Absurdität eines Mannes wie Goebbels und einmal mehr den lobenswerten Ansatz, den Kinozuschauern nicht alles politisch korrekt, vorgekaut und mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit vor den Latz zu knallen, sondern sie zum eigenen Differenzieren aufzufordern.
Csaba Lázár


Contra:
1939 gibt Goebbels persönlich den antisemitischen Propagandafilm »Jud Süß« in Auftrag, der den psychologischen Grundstein für die Vernichtung der Juden bilden soll. Für die Regie kann er schnell Veit Harlan begeistern, nur mit der Besetzung des „bösen Juden“ sieht es anfänglich etwas schwierig aus, da die damals bekannten Schauspielergrößen wohl ahnen, was dies für ein Machwerk werden soll und keiner auf diese Rolle geeicht sein möchte. Schließlich geht der noch nicht so etablierte Schauspieler Ferdinand Marian Goebbels auf den Leim. Vermutlich auch aus Angst vor dem Ende seiner Karriere. Sechs Jahre später wird diese dann von den Alliierten beendet, die ihm die Schauspielertätigkeit wegen der Mitwirkung an dem Film verbieten. »Jud Süß« ist Marians Schicksalsfilm geworden, der wie ein Kainsmal über seinen Unfalltod 1946 hinaus an ihm haften bleiben soll.

63 Jahre später hat sich Oskar Roehler (»Elementarteilchen«) des Stoffes angenommen und ist um den Versuch der Entstehung des Propagandafilmes bemüht. Aber auch er ist eben nicht frei von Eitelkeiten und lässt sich bedauerlicherweise dazu hinreißen, weit über das Maß der historischen Fakten hinaus, überdramatisierende Begebenheiten hinzuzudichten, die die Erzählung der tatsächlichen Geschichte nicht gebraucht hätte und eben immer auch die große Gefahr in sich birgt, am Ende als Geschichtsverfälschung da zu stehen. Es ist halt doch ein Unterschied, ob Quentin Tarantino einen Film in die Zeit des dritten Reiches anlegt, oder ob das ein Deutscher wie Oskar Roehler tut. Das hat gewiss auch was mit der Herkunft der Beiden zu tun. Einen Film in dieser Zeit anzusiedeln und daraus sein eigenes Ding zu machen, finde ich wie im Falle Tarantinos absolut legitim und unproblematisch.
Wenn man sich aber einer tatsächlichen und noch dazu einer der übelsten Geschichte der deutschen Filmhistorie wie »Jud Süß« annimmt und daraus ein bisschen seine eigene Story bastelt, begibt man sich schnell in Gefahr aus künstlerischer Eitelkeit selbst etwas Propaganda zu betreiben, auch wenn dies nur in bester dramaturgischer Absicht geschah. Es tut halt nicht Not, einem Mann wie Ferdinand Marian (Tobias Moretti) eine jüdische Frau anzudichten, die sie nicht war, und selbige auch noch für dessen Karriere in einem KZ zu opfern. Karl-Eduard von Schnitzler hätte das sicher goutiert, beschert dem Film aber für mich einen herben Beigeschmack.

Auf den Vorwurf der Ungenauigkeit, Fälschung und Legendenbildung durch den 80-jährigen Medienwissenschaftler und Jud-Süß-Experten Friedrich Knilli reagierte der 29 Jahre jüngere Regisseur Roehler in der Sendung Kulturzeit auf 3sat auf dessen Kritik mit einem respektlosen und unangebrachten „Who the fuck is Knilli?“.
Kein Kommentar! Ray van Zeschau

http://www.jud-suess-film.de