5. November 2010

Zweigeteilt - Viel verschenktes Potential?

Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte Sänger, Komponist, Dichter, Maler, Liebhaber, Provokateur… und Filmstar?
Zweigeteilt - Viel verschenktes Potential?
An Umsetzung und Inhalt von Gainsbourg entzweien sich die Meinungen. Auch in der Kinokalender Dresden-Redaktion.

Contra:
Zugegeben; es gilt als die ausgemacht einfachste Art, sich einem Menschen der Zeitgeschichte zu nähern, indem man nur geduldig auf sein cineastisches Biopic wartet und dann ganz kommod ins Kino schlendert. Allerdings war mein Plan ja auch nicht, mich satt zu schlürfen an mundgerecht portionierten und vorgekauten Häppchen, kurz zu rülpsen und danach ins Verdauungskoma zu fallen. Ich gedachte gemeinsam mit Gainsbourg das Klavier zu traktieren, die Leinwand zu beschmieren und in ungemachten Betten zu wühlen und wollte nach dem Kinobesuch das dringende Bedürfnis verspüren, die Nadel auf eine seiner Platten zu legen. Aber egal, wie es ausgehen würde, es ist und bleibt natürlich eine saublöde Idee, und um es vorwegzunehmen, in diesem Falle blieb der Plattenspieler still. Gleichwohl war ich, derart „unvoreingenommen und keusch“ im Kino hockend, von den ersten zehn Minuten geradezu verzaubert.

Dem kleinen Lucien folgt, hurtig einem antisemitischen Propagandaplakat entstiegen, ein Hakennasenklops auf zwei Beinen durch die nebligen Pariser Straßen. Naseweis oder spitzbübisch, Lucien macht ihn zu seinem Verbündeten, holt sich geschwind seinen Judenstern ab, singt textsicher zotige Chansons und zeichnet nur ungern einen Büstenhalter mit, wenn er sein Model auch nackig schwatzen kann. Beim Betrachter keimt schnell der Wunsch, die Kindheit möge ewig dauern, die stilsicher hinskizzierten Miniaturen aus Klein-Gainsbourgs Leben würden die reale Welt der deutschen Besatzung verlassen und sich hier und da in ein animiertes Comic-Märchen verwandeln. Tun sie aber nicht. Neu-Regisseur und Alt-Comiczeichner Joann Sfar wollte oder durfte gerade mal die Credits zum Film untermalen, was man zwei Stunden lang als grandiose Unterlassungssünde empfinden muss. Bald verwandelt sich Luciens Kindheit in Serges Erwachsenenwelt, aus dem Klops mit Hakennase wird ein Schlaks – La gueule, die Fresse – und die Miniaturen weichen sorgfältig aufgefädelten Episoden.

Chronologisch sortiert, eine jede ordentlich verschlagwortet, beginnend mit D wie „nicht mit der Levitsky auf Dali’s Bett vögeln!“, die noch heute berühmten Metrotickets einlochend mit F wie den Frère Jacques, die G wie Gréco für eine Javanaise lang liebend oder die Gall ein Chanson lang lutschen lassend, der Bardot Gesangsunterricht und der Birkin Nachhilfe in Französisch erteilend… Einziger roter Faden sind die blauen Gitanes. Wären da nicht Doug Jones in der Verkleidung von Gainsbourgs Fresse und Eric Elmosnino als dessen Kette rauchendes alter ego Serge, die Klebestellen zwischen den einzelnen Kapitel-Überschriften würden ganz ordentlich durch den Projektor klappern. Spinnenfingrig zerrt Jones an den Türen, die es zu öffnen gilt, märchenhaft verträumt stolpert Elmosnino hindurch. Gemeinsam sind sie unschlagbar gut, nie spielt Serge besser Klavier als vierhändig mit La gueule. Aber die Frauen, die Gainsbourg so liebte, entzweien die Beiden zu oft.

Apropos, die Frauen. Sie haben Gainsbourg inspiriert, soviel steht fest. Sie waren seine Musen, und noch zitternd vor Lust schrieb er ihnen Chansons auf die warmen Leiber. Doch man sucht trotz prahlerischen Filmtitels nahezu vergeblich nach diesen im französischen Kino so sinnlichen Momenten. Der Film entblößt sich gerade mal bis zur mit einem Bettlaken verhüllten Bardot, die sich ihres gestammelten Je t’aime.. moi non plus ein Leben lang schämte. Was das Zwischenmenschliche angeht, muss man sich jenseits einer schönen Birkin-Badewanne seinen Teil denken. Dabei hätte an einigen Stellen ein flott hingekritzelter Zeichentricktraum das Kino in Brand setzen können. Statt dessen spielt sich alles Doppelzüngige nur in Claude Chabrols weit aufgerissenen Augen ab, der ungläubig ein letztes Mal in die Kamera starrt. Fazit: viel verschenktes Potential.
Meikel Korleone


Pro:
Da ist er nun endlich: der Film zum Mann zum Song, der minimalistisch, aber effektiv den Zauber französischer Liebeskunst hörbar machte. Als ein Kind der 1980er nun zu erfahren, dass der Lüstling künstlerisch weit mehr verbrochen hat als diese nette Melodie mit der säuselnden Birkin, macht da schon neugierig. Denn mit großen Skandalen war es – abgesehen vom unmoralischen Angebot an Whitney Houston 1986 – für den porträtierten Herren da schon vorbei, und der junge Autor dieser Zeilen widmete sich vornehmlich und pflichtbewusst seiner sozialistischen Schulbildung. Man verzeihe ihm somit die Unkenntnis der Person Gainsbourg abseits des Radios.

In Erwartung eines bebilderten Lebenslaufs mit den üblichen Zutaten Kindheit, Karriere, Rebellion und Frauen überrascht die Arbeit von Regisseur Joann Sfar dann doch positiv. Von den gemalten Credits über zum Leben erweckte Zeichentrickfiguren bis hin zur formidablen Besetzung der Hauptfigur mit Éric Elmosnino, der seinem Vorbild optisch sehr viel näher kommt, als es Henry Maske mit aufgeklebten Augenbrauen in der verunglückten Boxerbiografie Max Schmeling gelang. Verblüffend beeindruckend auch Laetitia Casta als Brigitte Bardot (damals, als sie schön UND bei Verstand war): verführerisch, überzeugend, wahrlich ein Genuss – sogar ohne komplettes Entkleiden. Auch hier gilt: die Erotik im Kopf ist viel anregender als das nackte Fleisch.

Freilich tapst auch dieses Biopic, das auf keinen Fall eines sein will, irgendwann in die Dramaturgiefalle und reiht nur noch Episoden aus Gainsbourgs Leben aneinander. Doch der Weg dahin ist geschmückt mit mutigen Brüchen in der Form und dem Beweis, dass Franzosen offenbar schon immer sehr dünnhäutig waren: Wenn es um Traditionen und nationalen Stolz geht, gibt es eben kein Pardon. Da brennen Autos, fliegen Steine, hört man wüste Beschimpfungen. Das war 1969 so, als Gainsbourg seinen Audioguide zum Liebesakt präsentierte, es steigerte sich zehn Jahre später zur frechen Reggae-Version der Marseillaise made by Monsieur G., und es wiederholt sich 2010, nun sogar ohne den Provokateur, wenn es um die läppische Erhöhung des Rentenalters auf 62 Jahre geht. Ein Film über die Vergangenheit mit aktuellem Bezug sozusagen. Ihr Nörgler, was wollt ihr mehr?
Csaba Lázár