1. Februar 2011

Drei - Ein später Höhepunkt im Filmjahr 2010?

Oder doch nur eine verkorkste Liebeskomödie, die die Mittelmäßigkeit der vergangenen zwölf Monate unterstreicht?
Drei - Ein später Höhepunkt im Filmjahr 2010?
Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins.

Pro:
Im Buch gibt es das Vorwort, in der Musik das Intro. Und im Film? Eine Prä-Titel-Sequenz. Sie macht neugierig, schafft eine Atmosphäre, holt ihr mitlesendes, zuhörendes, zuschauendes Publikum ab und lädt es ein zu einer Reise. Regisseur Tom Tykwer setzt noch einen drauf: Er erzählt zwei Leben anhand parallel verlaufender Hochspannungsleitungen. Poetisch, glaubhaft, direkt. Gleich in den ersten 60 Sekunden.

Viel kann ein Film falsch machen, wenn er so beginnt. Drei passiert das nicht. Denn was in den folgenden Minuten zunächst chaotisch wirkt – Sophie Rois alias Hanna wirft als Mitglied eines Ethikrates mit unverständlichen Begriffen um sich, ihr langjähriger Freund Simon (Sebastian Schipper) liegt derweil auf einem OP-Tisch – spiegelt nur das wider, was Adam (Devid Striesow), die dritte Hauptfigur, anschließend mit der Gefühlswelt des Paares anstellt.

Tykwer lotet einmal mehr die Wege des Zufalls aus, wenn er seine Figuren zusammenführt. Ein wiederkehrendes Thema in seinem Filmkosmos, diesmal allerdings auch ungewohnt schamlos bebildert. Keine Abblende bei der Hodenentfernung, beim Samenerguss, bei den stillen Momenten nach dem Fremdgehen. Das schafft Nähe zu den Figuren und verankert die Dreiecksbeziehung in einer glaubhaften Realität – trotz Engelserscheinungen und anderen Spielereien, mit denen Drei in seinem Verlauf immer wieder überrascht.

Überhaupt, die Überraschung: Als es schließlich zum Unausweichlichen kommt, sich Hanna und Simon in der Wohnung von Adam gegenüberstehen, ist dies ein von unglaublicher Spannung getragener Moment: Gibt es Streit, Gelächter, Sex zu dritt, oder gar einen Suizid aus Enttäuschung? Inhaltliche Weggabelungen wie diese sind in diesem Film omnipräsent, Widersprüchlichkeiten im Verhalten der Akteure und endlos viele Andeutungen über deren Herkunft, Sozialisation und Egoismus sowieso. Braucht es das alles? Nicht, wenn es sich um eine romantische Komödie handelt, die einfach nur gut tun will. Soll es aber gut tun, ehrlich sein und nicht ausschließen, dass das Leben immer schon eine seltsame Komposition aus Normalität, Absonderlichen, Lust und Begehren war, so ist Drei in all seinen Facetten, mit all seinen Minidramen, ein fulminantes Ganzes.
Csaba Lázár

Contra:
Muss immer die Frage nach Mittelmaß oder großem Kino stehen? Reicht nicht einfach ein Film, der etwas zu erzählen hat und dies auch noch mit sogenannten ansprechenden Mitteln?
Ein Vegetarier wird sich kaum für ein Drama um das gebrochene Herz eines Fleischermeisters interessieren, so auch junge Menschen wohl kaum für die Beziehungsstörung älterer Kultursäcke aus dem Prenzelberg. Genau das ist wohl das Problem von Drei.

Tom Tykwer erzählt aus dem Herz der neuen Berliner Mitte vom Leiden an sich und an der Welt. Immer wieder tauchen Links zu den großen – den wirklichen? – Katastrophen dieser Welt auf. Dabei haben wir doch einfach Glück, im reichen Teil der Welt – sind hier aber auch alle reich, können sich alle das Leben der Helden leisten? – nur selten von den elementaren Schicksalsschlägen geplagt zu werden. Doch auch bei uns sterben Menschen, nicht immer nach einem würdevoll – was meint das eigentlich, was gehört dazu? – gelebten Leben. Manchmal infiziert Mann/Frau sich tödlich im Krankenhaus, seltener entgleist ein ICE oder wird die Love Parade zur tödlichen Falle. So passiert es aber auch, dass Menschen aneinander vorbei leben oder leiden und erst eine coole Sau – welche Eigenschaft muss die eigentlich haben? – wie Adam (Devid Striesow) auftaucht, der die festgefahrene Balance aufbricht, und plötzlich ist alles ganz anders.

Bei aller Kritik hat Tykwer einen allgemein gültigen und sehenswerten Film über unser Dasein im Herzen Europas gedreht. Vieles spricht für ihn. Sensationell erzählt der Vorspann die Exposition, etwas unscharf dagegen erleben wir Simon und Hanna in ihrer Beziehung, und da ist dann plötzlich schon die Auflösung. Die drei legen sich ins Bett und alles wird irgendwie. Ein weiterer Pluspunkt, Berlin dient als Projektionsfläche für ein klassisches Beziehungsdrama, sehr einfühlsam legt sich der Film in diesen, so noch nicht gesehenen, städtischen Raum mit vielen neuen Bildern. Noch ein Pluspunkt – Tykwer erzählt leicht ironisch distanziert, nimmt den Kulturbetrieb etwas auf die Schippe und hält Distanz zu seinen Helden.

Und Kritisches? Ja klar, auch. Fehlende Fallhöhe, ein Ende ohne Leidenschaft und etwas undramatisch. Unscharf gezeichnete Charaktere, so darf Devid Striesow wieder glänzen, zu sehr, ihm werden keine eigenen Wünsche oder Untiefen zugestanden. Dazu viel, zu viel Aktuelles von der Präimplantationsdiagnostik (PID) über Sterbehilfe bis zum berühmten Dr. Hagen, alles keine so einfach zu beantwortenden Themen. Denn das Leben ist viel zu kompliziert für einfache Fragen und Antworten. Mersaw

http://www.drei.x-verleih.de