8. Februar 2011

Pionier des Dresdner Independent- und Undergroundfilms

Der Filmwissenschaftler Andrew Brachyura im Gespräch mit Ray van Zeschau
Pionier des Dresdner Independent- und Undergroundfilms
Du hast 1984 mit Rainer A. Schmidt und Wolf Götz Richter die unabhängige Filmgruppe FESA (Feige Sau) in Dresden gegründet. Musste man das damals irgendwie anmelden?
Womöglich hätte man das tun müssen, haben wir aber natürlich nicht. Eine Filmgruppe zu gründen, befand sich wahrscheinlich in der Grauzone der staatlichen Wahrnehmung eines Kegelklubs.

Video gab es damals noch nicht, worauf und womit habt Ihr gedreht?
Natürlich auf Zelluloidschmalfilm und anfänglich mit russischen Kameras der Marke Quartz oder Krasnogorsk, die man aufziehen musste wie eine Eieruhr. Später konnte ich mir eine gebrauchte Minolta besorgen.

Wie lange konnte man drehen mit solch einer aufgezogenen Kamera?
Bei der Quartz waren es immerhin 40 Sekunden, was im Prinzip auch ausreichte. Wenn eine Szene dann doch mal länger sein sollte, musste ich mit der linken Hand den Auslöser drücken und mit der rechten nebenher aufziehen. Das Gewackel hätte Herrn von Trier sicher gut gefallen.

Filmmaterial gab es so einfach?
Das war weniger ein Problem. Genervt hat aber zum einen die unterschiedlich schlechte Qualität des Materials und zum anderen die lange Entwicklungszeit der Filme, die extra nach Berlin gesendet werden mussten und rund 14 Tage oder auch teils drei Wochen brauchten, bis
sie wieder im Briefkasten lagen. Aber damals ist man etwas lockerer mit Zeit umgegangen und es war jedes Mal wie Weihnachten, wenn ein entwickelter Film eintraf und man endlich sehen konnte, was man verzapft hatte.

Um was ging es in den Filmen?
Grob gesagt, sagen wir mal, in surrealistisch dadaistischer Weise um Themen wie Umwelt, Militarisierung und gesellschaftliche Unterdrückung. Titel waren so »Labyrinth«, »Warten auf Bodó« oder »WAR-scheinlich« usw. In »Frustratorische Assoziationen 86« z.B. wollten wir aber einfach nur die alternative Intellektuellenszene der Stadt verarschen, was uns auch gelungen ist. Leider so gut, dass sie es nicht geschnallt haben.

Wie war eine Auseinandersetzung mit den erstgenannten Themen eigentlich möglich, ohne gleich verhaftet zu werden?
Da wir alle drei vom Theater kamen, hatten wir dort gelernt zwischen den Zeilen zu arbeiten, und es blieb letztlich eine Frage der Interpretation, die sich schon für damalige Verhältnisse am Rande der Verklausulierung bewegte. Der chilenische Maler Hernando León meinte damals, dass man uns in Chile längst eingesperrt hätte.

Ihr wart wohl die Ersten, die in Dresden ein Independentfilmfest organisiert haben. Wie lief das ab?
Ob wir die ersten waren, weiß ich nicht, aber wir hätten sicher davon gehört, wenn andere vor uns so etwas aufgezogen hätten. Natürlich war uns klar, dass wir kein offizielles Filmfest machen können, so dass wir alles in unserer 120 qm großen Altbauwohnung auf der Schweriner Straße 63 veranstalteten und dafür unseren Stuck-Parkett-Salon leer räumten. Einladungen wurden nur an Leute ausgegeben, von denen wir glaubten sie zu kennen. Natürlich brachte dann immer wieder jemand einen Freund mit... usw. Am Ende waren dann über hundert Leute in der Wohnung, die teils raus bis in den Flur auf Tischen und Stühlen standen.
Und das ging gut?
Wenn du die Staatsmacht meinst, auch das. Davon abgesehen, dass jedes mal, wenn die Vorführungen vorbei waren und alle Gäste mit Getränken versorgt in der Wohnung standen und diskutierten, die Volkspolizei auftauchte und vereinzelte Ausweiskontrollen vornahm. Ansonsten, nö es ging alles gut. Zwei der Gäste wurden zwar später als IMs enttarnt, aber keine Ahnung, was die ihren Führungsoffizieren erzählt haben.

Wie viele Filmfeste habt Ihr veranstaltet und gab es auch Oscars oder Bären? Von 1985 bis 1988 jährlich eins und in erster Linie gab es Bier... nein, ich meine, Bier gab es schon, aber als Preis wurde der Schwarze Löwe ausgelobt.
Den habt Ihr gebastelt?
Nein, der war aus schwarzverfärbtem Sandstein und stand genau gegenüber der Veranstaltung auf der Ecke der Großmarkthalle. Der Preisträger erhielt ein handgezogenes Foto des Löwen.

Warum habt Ihr das Fest 89 nicht weitergeführt?
Da Rainer und ich mit Jänz Dittschlag, Tom Gross und Heiko Schramm die „Freunde der italienischen Oper“ gegründet hatten und bereits zu den Proben von Wolfgang Engels „Faust II“ am Staatsschauspiel eingebunden waren. Allerdings habe ich weiterhin für FDIO die Filme gemacht, die dann während unserer Konzerte liefen. Aber es gab ja 89 dann eine mehr als adäquate Wachablösung durch das erste Dresdner Filmfest, welches auch neuen Wind ins filmische Leben der DDR brachte und dazu noch mehr Leute erreichte.

Wart ihr in irgendeiner Weise in das neue Fest involviert?
„Nur“ insofern, dass wir 89 und 1990 mit FDIO zum Fest aufgetreten sind und da natürlich auch unsere Filme gezeigt haben.

Wird man die alten Filme der FESA noch einmal für die größere Öffentlichkeit zu Gesicht bekommen?
Ich hoffe das. Es ist aber momentan für mich eine Frage der Zeit und des Geldes, die Filme in ein aufführungsgemäßes Format zu bringen. Frank Apel hat mir schon im voraus grünes Licht gegeben und würde die Filme sofort im KIF veranstalten bzw. zeigen.

Rückblickend betrachtet, wie würdest Du Eurer Wirken filmgeschichtlich einordnen?
Natürlich als wegweisend und stilbildend. Nein keine Ahnung. Das sollen mal andere in die entsprechende Schublade der Filmgeschichte packen, wenn sie das für wichtig erachten.

Warum ist das Filmemachen bei Dir mittlerweile eher in den Hintergrund gerückt? Weil ich soviel für den Kinokalender schreiben muss!

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.


Foto aus » Labyrinth«