24. Februar 2011

Black Swan

Nach seinem umjubelten Drama »The Wrestler« legt Regisseur Darren Aronofsky ein weiteres Meisterwerk nach –
Black Swan
oder doch nicht? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins.

Pro:
Dieser Film is‘ ne Wucht! Dass Darren Aronofsky nicht nur begabt ist wie bei »Pi«, sondern ein hervorragender Regisseur, der mit dem Genre spielt, wurde spätestens mit »The Wrestler« klar, aber hier geht er noch darüber hinaus. Er wagt sich ein ein Heiligtum der Kunst – vergleichbar vielleicht mit Peter Jackson und »Der Herr der Ringe« – und meistert es grandios. Wer sonst eine Balettkarte erwirbt, braucht Zeit und Muse, muss sich in Schale werfen, Sekt trinken (vielleicht noch das angenehmste daran), muss einen Abend lang lächeln, hat viel Geld ausgegeben, am Ende die Handlung nicht verstanden und die Musik schnell wieder vergessen. Hier ist alles viel einfacher, die Karte billiger und trotzdem wird große Kunst geboten!

Dabei erzählt der Film nicht einfach die Story des Balletstückes nach – das wäre zu simpel und wird von Thomas (Vincent Cassel als Chef-Choregraph) in ein paar einprägsamen Sätzen erledigt. Aronofsky geht tiefer, er dringt ins Innerste vor. Ins innere des Hauses, der beiteiligten Personen und vor allem ins innere des Zuschauers, der in seinem Kinosessel immer tiefer rutscht und die Entspannungspausen nutzen muss, sich wieder aufzurichten und den Blick zurück zu Leinwand zu führen.

Der Film erzählt in erster Linie von der Angst, der Angst der Protagonistin (Natalie Portman – demnächst wohl OSKAR-prämiert) zu scheitern, ist nicht Opern- oder Balettfilm sondern ein echter Psychothriller, der nicht umsonst erst ab 16 freigegeben ist. Die Kunst liegt dabei im weglassen – es muss nicht das Blut spritzen, um Spannung zu erzeugen - besagter Zehennagel tut’s auch - und es muss nicht über jeder Traumsequenz d‘rüberstehen, dass das Geschehen nicht real ist, da muss man schon etwas mitdenken und sich auf die geschichte einlassen.
Aronofsky liefert dazu die Vorlage, Kameramann Matthew Libatique die Bilder und Portmann setzt es congenial in Leid und Pein um. Begleitet von wundervoller Musik – was will mensch mehr?
Rotbart


Contra:
Kaum zwei Jahre ist es her, da bescherte Darren Aronofsky dem gefallen Star Mickey Rourke ein fulminantes Comeback als Randy „The Ram“ Robinson in dem Film »The Wrestler«: Das Porträt eines bulligen Mannes, der im Privaten scheitert und gleichzeitig sein ganzes Ich seinem Sport und seinem Publikum opfert – bis zum bitteren Ende. Dieser vielleicht männlichsten Art der Selbstzerstörung stellt Aronofsky nun mit »Black Swan« ein weibliches Pendant entgegen: Zarte, zerbrechliche Tänzerinnen, die über das Parkett schweben und ihre Körper schinden, bis auch der letzte Zehennagel blutend um Erbarmen schreit. Diese Leiden der jungen Mädchen auf ihrem Weg an die Spitze nicht auszublenden, dafür gebührt Aronofsky Lob und Achtung, auch wenn ein wenig mehr Subtilität nicht unangebracht gewesen wäre. Im ungleich brutaleren Sport des Wrestling passten solcherlei explizite Details besser.

Doch ist es fair, diese beiden Filme miteinander zu vergleichen? Es geschieht zwangsläufig, da der Handlungsverlauf von privaten Höhen und Tiefen, vom beruflichen Erfolg und Misserfolg zu geradlinig, zu vorhersehbar, zu bekannt erscheint. Dieser Spannungskiller wirkt um so störender, da Aronofsky bereits in den ersten Minuten „das Geheimnis“ seiner Hauptfigur preisgibt: Noch bevor Nina (in der Tat herausragend: Natalie Portman) die Zusage für die Hauptrolle im Stück „Schwanensee“ erhält, in dem sie sowohl den weißen Schwan Odette als auch dessen Gegenpart Odile verkörpern soll, begegnet sie auf dem Nachhauseweg ihrer imaginären Doppelgängerin. Ergo: Nina leidet unabhängig von ihrer Belastung als weißer/schwarzer Schwan an einer psychischen Störung, sieht Dinge und Personen, die nicht vorhanden sind, und verliert zunehmend den Verstand. So warnt der Regisseur sein Publikum gleich zu Beginn davor, das Gezeigte ernst zu nehmen. Eine solche Prämisse macht es schwer, den Charakteren anschließend auf ihrer Reise emotional zu folgen.

Was der Geschichte an Spannung fehlt, kann die Inszenierung leider ebenso wenig ersetzen. Zwar ist die Kameraarbeit von Matthew Libatique, mit dem Aronofsky bereits zum vierten Mal zusammenarbeitete, wie immer großartig. Nur gleicht sein Stil auffallend deutlich dem seiner Kollegin Maryse Alberti, die – welch Zufall – »The Wrestler« fotografierte: auf Augenhöhe mit den Darstellern, ständig in Bewegung, selten in Totalen.

So wirkt Black Swan trotz seiner Qualität als Schauspielfilm ein wenig wie der Versuch, das Konzept des Vorgängerfilms auf ein anderes Sujet zu übertragen, ohne es zu variieren. Ein guter Film, der trotz fünf OSCAR-Nominierungen möglicherweise ein noch Besserer hätte werden können.
Csaba Lázár