24. März 2011

Pro und Kontra »The King’s Speech«

Großer Oscar-Gewinner - gerechtfertigt oder übertrieben?
Pro und Kontra »The King’s Speech«
Obwohl der Film trotz zwölf Nominierungen lediglich vier Goldjungen gewann, gilt »The King’s Speech« als der große Gewinner der diesjährigen Oscar-Verleihung. Gerechtfertigt oder übertrieben? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins.

Pro:
Da schau an: Auch ein König leidet hin und wieder an Nervosität, aufbrausendem Temperament und Sprachstörungen. Gegen den Willen der Gattin ist selbst ein Souverän machtlos und wenn es das Amt (und die Gemahlin) verlangen, dürfen freche Australier ihn sogar mit „Bertie“ anreden. Dem jungen Regisseur Tom Hooper (Jahrgang 1972) und seinem Autor David Seidler, mit 73 Jahren der älteste Oscar-Preisträger für ein Drehbuch, gebühren allein für diese Vermenschlichung des britischen Königshauses Applaus. Während es die Etikette und die Position im Staat verbieten, solcherlei Schwächen und Unzulänglichkeiten in die Öffentlichkeit zu tragen, sind sie hinter den verschlossenen Türen des Buckingham Palace ebenso alltäglich wie bei den Untergebenen. Zumindest laut »The King’s Speech«.

Ob sich diese amüsante Episode der Sprachwerdung eines Königs tatsächlich so zugetragen hat, wissen nur die Beteiligten. Glaubhaft ist die Chose allemal, was nicht zuletzt der gelungenen Verquickung historischer Fakten und dem unterhaltsamen Aufeinandertreffen von Colin Firth und Geoffrey Rush alias König George VI. und dessen Therapeut Lionel Logue zu verdanken ist. Der Eine distanziert-kühl, der Andere herzlich-direkt – eine explosive Mischung, die immer wieder zündet und in urkomischen, gleichsam tief menschlichen Situationen mündet. Treffender kann ein Film zwei Charaktere nicht präsentieren.

Rechtfertigt dies allerdings auch den Oscar für den „Besten Film“? Angesichts der sehr konventionellen und fast schon altmodisch-geradlinigen Umsetzung sind Zweifel berechtigt. Einzige optische Spielerei bleibt Hoopers auffallende Verschiebung des Bildausschnitts: Immer wieder nutzt er Nahaufnahmen, bei denen die Personen nicht in der Bildmitte, sondern leicht versetzt zu sehen sind. Eine schicke Spielerei, die glücklicherweise jedoch nicht von den pointierten Dialogen ablenkt – zumindest im englischen Original.

Denn dort transportiert die Sprache des Herrschers und seines angstlosen Helfers sehr viel mehr Witz und Doppeldeutigkeit, als es die Synchronisation vermuten lässt. Lionel-Darsteller Rush ließ es sich nämlich nicht nehmen, hin und wieder seinen Akzent zu verändern, um seinem Patienten einen verbalen Stich zu verpassen, wenn der dem Doktor aus Frust mal wieder seine standesgemäße Überlegenheit an den Kopf wirft. Ein herrlicher Spaß!

Schlussendlich sind es Nuancen wie diese, die »The King’s Speech« zu einem besonderen Werk machen. Und solange ein so ‚kleines‘ Meisterwerk (Budget: 15 Millionen $) mehr Oscars gewinnt als »Avatar« (Budget: 237 Millionen $), ist meine Filmwelt sowieso in Ordnung.
Csaba Lázár


Contra:
Da haben die Brüder Weinstein wieder mal voll zugelangt und für das Potenzial der Geschichte um den stotternden König den richtigen Riecher gehabt - die korrekten Weichen gestellt, das rechte Timing bewiesen und fertig war die Überraschung.
Ohne Zweifel handelt es sich bei »The King’s Speech« um eine ganz sauber hintereinander weggedrehte, große europäische Geschichte, in deren Zentrum ein emotional bestens nachfühlbares Einzelschicksal steht. Dafür gab es reichlich Oscars und richtig viele dankbare Zuschauer. Was will Kino mehr?
Genau, Kino sollte doch auch authentisch sein und Menschen in ihrer Zerrissenheit und Komplexität zeigen. Einen realistischen Blick auf unsere gar nicht so schwarz-weiße Welt werfen.

»The King’s Speech« idealisiert, König George wird als der edle und gereifte König präsentiert, sein Bruder Edward dagegen als unter der Fuchtel einer unmoralischen Frau stehender Versager.
Die historischen Gestalten und Abläufe jedoch waren durchaus diffiziler und betteten sich in die höchst komplexe europäische Geschichte jener Jahre ein. Das Empire, nicht immer zwingend moralisch handelnd, beherrschte nicht zufällig die Welt.

Edward wurde durch seine modernen Ansichten und auch sein soziales Interesse als Gefahr vom konservativen Establishment aufgefasst. Seine Beharren darauf, Wallis Simpson zu heiraten, löste 1936 eine Verfassungskrise aus, die die Abdankung Eduards zur Folge hatte. Im Nachkriegseuropa wurden die beiden übrigens d a s Jetset-Paar.

Im Film wird schnell klar, dass die schwere Kindheit und psychische Störungen den Redefluss von Bertie stören. Der Sprachlehrer wird zum universellen Therapeuten, der flugs den Menschen und das Empire rettet.
Leider ist das nur schwer zu verallgemeinern. Das Stottern bleibt ein komplexes, nach wie vor viele Menschen quälendes Problem, dessen Ursachen bis heute nicht geklärt sind. Lionel George Logue konnte übrigens Prinz Albert, Herzog von York, in der Tat helfen. Der hielt aber bereits 1927 die Eröffnungsrede des Australischen Parlaments, ohne auch nur einmal zu stottern. Logue stand ihm dennach noch weitere zwei Jahrzehnte zur Seite.

Tom Hooper erzählt die Geschichte zu geradlinig und so leicht, dass bestes und kantenloses Hollywood-Kino entsteht, auch wenn es von den Rändern des heutigen Reiches kommt.
Zumindest atmet die britisch-australische Produktion eine sehr britische Erzählweise und den entsprechenden Humor, die, wer kann, unbedingt in der untertitelten Originalfassung erleben sollte.
Colin Firth, Geoffrey Rush und Helena Bonham Carter aber sind einfach großartig.