8. November 2011

Pro und Contra »Mein bester Feind«

Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist entzweit: »Mein bester Feind« bringt Humor in die Zeit des Nationalsozialismus. Unerhört - oder doch grandios?
Pro und Contra »Mein bester Feind«
Pro:
Chaplin traute sich (»Der große Diktator«), Lubitsch ebenso (»Sein oder Nichtsein«), und nun der Österreicher Murnberger. Ausgerechnet ein Österreicher! In »Mein bester Feind« lässt er einen Juden (Moritz Bleibtreu) und einen Nazi (Georg Friedrich), vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gar Freunde und quasi Geschwister, nach einem Flugzeugabsturz die Rollen tauschen. Fortan gibt Victor den Uniformträger, während für Rudi nur die Häftlingskleidung und die Erniedrigung bleiben. Denn zu Rudis Pech kennen seine Kameraden sein Aussehen nicht, ist er aufgrund eines Krankheitsfalls im Kindesalter ebenso beschnitten und behauptet sogar seine Verlobte, gespielt von Ursula Strauss, dass Victor der ‚wahre Rudi‘ sei. Selber schuld, schließlich war sie einst die Herzdame von Victor, bevor Rudis Vorgesetzter ihn in ein Konzentrationslager verbannte. So scheitern Rudis zahllose Versuche, die Verwechslung aufzuklären, stets an den Schlägen seiner Juden hassenden Bewacher, während Victor die Gunst der Stunde nutzt, um seine ebenfalls deportierte Mutter in die rettende Schweiz zu überstellen.

Natürlich ist es ein Leichtes, Murnberger und seinem Co-Autor Paul Hengge das bewusste Aussparen von Alltagssituationen, in denen der Jude Victor womöglich aufgeflogen wäre, als Schönmalerei vorzuwerfen. Ist eine solche Maskerade in diesem Umfeld und Umfang überhaupt möglich? Kann ein ehemaliger KZ-Häftling in Auftreten und Sprache, in Gestik und Mimik überhaupt als Nazi durchgehen? Wer sich daran stört, verdirbt sich (a) das Filmvergnügen und lässt (b) außer Acht, dass Murnberger diesen Rollentausch nicht nur als Prämisse für eine äußerst amüsante Geschichte nutzt, sondern gleichsam auch als symbolischen Ausgangspunkt für ein intelligentes und mutiges Spiel mit den Begriffen und der Wahrnehmung von Original und Fälschung, Fiktion und Wirklichkeit. Wem kann man noch trauen? Wer ist Blender, wer überzeugter Mitläufer? Diese Fragen stellt er auch seinem Publikum.

Die „Verwandlung“ des Juden bietet zudem eine Fülle an Möglichkeiten, die nach außen getragenen Merkmale der Diktatur, wie beispielsweise den „Führerkult“, in seiner ganzen Absurdität zu verdeutlichen: Wundert sich Victor beim ersten Anblick im Spiegel noch über sein neues Äußeres, so ist mit fortlaufender Spielzeit seine zunehmende Unlust, jedes Gespräch mit dem Hitlergruß zu beenden, unüberhörbar. Hauptdarsteller Bleibtreu weiß diese Nuancen wunderbar zu präsentieren. Auch schafft es »Mein bester Feind« in wahrlich grandioser Art und Weise, den Nationalsozialismus bei aller immer wieder durchschimmernden Brutalität als ein Sammelsurium von karrieregeilen Opportunisten zu entlarven, die stets nur nach dem eigenen Vorteil handeln. "Nach oben kuschen, nach unten drücken" scheint das vorherrschende Credo zu sein und »Mein bester Feind« verdeutlicht dies gleich in mehreren Szenen mit beiläufiger Raffinesse.

Regisseur Wolfgang Murnberger ist mit »Mein bester Feind« ein ganz ausgezeichneter Beitrag zu einem immer noch schwer zugänglichen Thema gelungen. Seine feine Mischung aus Parodie und Familiendrama, eingebunden in traurige historische Ereignisse, ist eine seltene Perle, in der Anspruch und Unterhaltung die perfekte Balance finden.
Csaba Lázár

Contra:
Im Fernsehen gelten Filme mit Adolf H. und/oder über den Nationalsozialismus gemeinhin als echte Quotenbringer. Im Kino scheint es dagegen etwas schwieriger. Ausgerechnet zwei Filme mit einem großartig spielenden Moritz Bleibtreu, einmal als jüdischer Galerist Victor Kaufmann und als Goebbels in »Jud Süß – Film ohne Gewissen«, starten, einmal hochgelobt, einmal extrem kontrovers diskutiert im Kino und bleiben ein Flop an der Kinokasse. Warum? Ein Erklärungsversuch am Beispiel von »Mein bester Feind«.

Wolfgang Murnberger dreht nach Paul Hengges Roman »Wie es Victor Kaufmann gelang, Adolf Hitler doch noch zu überleben« ein im besten Sinne unterhaltsames Drama mit komödiantischen Elementen. Die Tragödie des Nationalsozialismus wird in groben Zügen auch als das gezeichnet, was sie in erster Linie war, eine soziale Umwälzung einhergehend mit der Enteignung eines dosiert freigegebenen Teils der Bevölkerung. Eine gigantische Beschlagnahme- und Umverteilungsmaschinerie nahm ihre Arbeit auf, erst bei den deutschen Juden und dann in ganz Europa. Sie sorgt noch Jahrzehnte später für Prozesse und Diskussionen mit all den dazugehörigen Ungerechtigkeiten.
Genau davon erzählt Murnberger ganz beiläufig. Rudi, der Ziehsohn, arm und vom Gnadenbrot der reichen Kaufmanns anhängig, gerät zufällig an die "richtige" Seite. Die schwarze Uniform gibt ihm plötzlich die Macht und den Einfluss, die bisher Victor und seinem Vater vorbehalten waren. Auch wenn diese am Ende zu schwinden scheinen, nach Mai 1945 war man trotzdem Wer und konnte mit arisiertem Vermögen gut gelaunt ins Wirtschaftswunderland starten, inclusive gutem Gewissen, "armen Juden" geholfen zu haben. Schön, dass in diesem Falle Victor, seine Mutter und Lena als kleine Gewinner in die feuchtkalte Wiener Nacht entschwinden können, ein märchenhaftes Ende als augenzwinkerndes Detail.
Genau von diesen komplexen Verstrickungen erzählt »Mein bester Feind« zu realistisch. Die Farce ist zu komplex, zu viel grau, um in den Mainstream der Kultur einzugehen. Insofern ist das Scheitern beider Filme an der Kinokasse eher ein Beleg für die Qualität ihrer Auseinandersetzung mit der komplexen Realität Deutschlands in den 30er Jahren.

Kritisch ist natürlich vieles anzumerken. Wolfgang Murnberger lässt die eigentliche Jagd nach dem Michelangelo zu kurz kommen und inszeniert sie zu wenig als komödiantische Farce. Was für ein Thema! Die absurde Jagd nach dem Michelangelo - herrlich, wie ganze Stäbe der nationalsozialistischen Bürokratie mit solch wichtigen Dingen beschäftigt sind -, die, genauso schnell wie sie eröffnet wurde, wieder abgeblasen wird, ist ja der eigentliche Auslöser für die unglaubliche Geschichte. Überhaupt, wo bleibt sein bekannter schwarzer Humor, der berühmte Biss? Zu viel Respekt vor dem Stoff?
Hinzu kommt die Fixierung auf Komödie im Vorfeld, die dem Film einfach nicht gerecht wird. Aber, wie gesagt, das sind eigentlich Kleinigkeiten. Denn unerhört ist es schon. Mersaw