1. März 2012

Politisch unkorrekt und Glaubwürdig? Pro und Contra »Ziemlich beste Freunde«

Warum nur entwickelt sich ein Film zum Publikumsmagneten?
Politisch unkorrekt und Glaubwürdig? Pro und Contra »Ziemlich beste Freunde«
»Ziemlich beste Freunde« erreichte am 49. Auswertungstag, am Ende seiner siebenten Kinowoche 5 Mio. Besucher und reiht sich wohl bald ein in die Reihe solcher Kinophänomene wie »Good Bye, Lenin!« (6,5 Mio. Besucher), Forrest Gump (7,6 Mio. Besucher), Pretty Woman (10,6 Mio. Besucher) oder gar Titanic (18 Mio. Besucher)? Eine Frage, die auch unsere Kritiker bewegt und, man glaubt es kaum spaltet.

Pro:
In der schnelllebigen Zeit des Kinobetriebs sind Erfolge wie der des Wohlfühl-Films »Ziemlich beste Freunde« eine Seltenheit: Hauptsächlich dank Mundpropaganda zum Publikumsmagneten erwachsen, begeistert die Komödie dies- und jenseits der deutsch-französischen Grenze seit vielen Wochen Millionen Zuschauer. Und das so gar nicht politisch korrekt. Denn wer will, könnte »Ziemlich beste Freunde« auch als beschämende Witzsammlung auf Kosten körperbehinderter Mitmenschen interpretieren.

Doch: Lachen befreit, kann Vorurteile vergessen machen und Berührungsängste abbauen. Dies ist auch das Anliegen der beiden Regisseure und Autoren Eric Toledano und Olivier Nakache, die hierfür eine reale Geschichte einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen Freundschaft als Vorlage nutzten: Philippe (François Cluzet) ist ein reicher und gebildeter Mann, der vom Hals abwärts gelähmt ist. Auf der Suche nach einem neuen Pfleger lernt er den frechen Driss (Omar Sy) kennen, der eigentlich nur zum Erhalt eines Stempels für die Arbeitslosenunterstützung vorspricht und keinerlei Ambitionen hegt, diesen Job auch zu übernehmen. Beeindruckt von Driss` Offenheit und fehlendem Fingerspitzengefühl engagiert Philippe den jungen Kerl mit der großen Klappe, in der Hoffnung, endlich wie ein ,normaler‘ Mensch behandelt, statt stets mit Samthandschuhen angefasst zu werden. In den darauf folgenden Tagen kommen sich die beiden grundverschiedenen Männer gezwungenermaßen näher und beginnen, eine Freundschaft aufzubauen.

Ein piekfeiner, grantiger Reicher trifft auf einen Ex-Häftling aus dem Ghetto. Was an sich schon viel Gegensätzlichkeit bietet, erhält durch die Ganzkörperlähmung des einen und die familiären Probleme des anderen eine zusätzliche Ebene. Themen, die per se gewöhnlich nicht komödientauglich sind. So kann man den Filmemachern sicherlich vorwerfen, viele Probleme zu Problemchen zu reduzieren, weniger schöne Aspekte bei der Hauspflege auszusparen, oder die Annäherung der Hauptakteure zu vereinfachen. Warum sie das tun? Es wäre in höchstem Maße unpassend für die eigentliche Aussage des Films: das Leben, so wie es ist, mit Humor zu nehmen.

Tatsächlich gibt es keine Szene im Film, in der Philippe oder Driss über ihr Dasein klagen. Sie akzeptieren die physischen und sozialen Gegebenheiten und nutzen die Chance, dank des anderen einen neuen Blick auf die Welt zu erhalten. So lernt der Feingeist fetzige Diskomusik kennen, während sein Helfer Verantwortung nicht nur für seinen Patienten, sondern ebenso für seine Familie übernimmt. Dies alles ist in wunderbar witzige und amüsante Dialoge verpackt, die den gesellschaftlichen Unterschied sprachlich gekonnt widerspiegeln. Darüber hinaus machen die Filmemacher keinen Hehl daraus, was sie vom so genannten Kunstestablishment halten: In zwei schreiend komischen Szenen (Galerie, Oper) entlarven sie die reichen Sammler und Genießer als Blender und geldverbratende Schnösel, die Kunst nicht an Qualität, sondern nur anhand des Verkaufspreises messen. Herrlich!

Natürlich ist es immer leichter, sich über das Handicap eines körperlich Beeinträchtigten zu amüsieren, wenn der Betroffene, in diesem Fall Philippe, selbst mitlacht. Das schlechte Gewissen bleibt damit außen vor und außerdem grinsen ja auch die Sitznachbarn im Kinosaal. Trotzdem – oder gerade deshalb? – bewirkt solch eine Komödie wahrscheinlich mehr für den Abbau von Zurückhaltung gegenüber Betroffenen UND frechen Nachbarn mit Migrationshintergrund als ein schwermütiges Drama. Das berührt sicherlich ebenso, würde sich aber wohl kaum zu einem ähnlichen Publikumserfolg entwickeln können wie der schöne, unkomplizierte, witzige und trotz Vorhersehbarkeit niemals langweilige »Ziemlich beste Freunde«.
Csaba Lázár

Contra
Wirklich eine irre rührende Geschichte. Und so glaubwürdig. So legitimiert durch ihren, nun ja, Realitätsbezug. Mit dem Zusatz „Basierend auf einer wahren Begebenheit“ lässt sich in einem Film so ziemlich alles rechtfertigen und vor allem gut verkaufen. Auch diese extreme Konstellation: Ein vom Hals an abwärts gelähmter gut situierter Franzose und sein Pfleger, ein unterprivilegierter Migrant mit dem berühmten Herzen auf dem rechten Fleck, werden beste Freunde. Herr Unterschicht zeigt Herrn Oberschicht, wie Lebensfreude geht, und erhält dafür einige freundliche Lektionen in Sachen Hochkultur. Ich sag nur Win-win-Situation.

OK, »Ziemlich beste Freunde« ist ein handwerklich solider und gut besetzter Film - Anne Le Ny als Hausdame Yvonne zum Beispiel ist eine echte Entdeckung. Komische und traurige Szenen sind wohltemperiert und perfekt aufeinander abgestimmt. „Das Cockpit ist abgefallen“, ist einer der witzigeren Sätze dieses Filmes, der ansonsten von vorhersehbarem Humor nur so strotzt.

Also einfach zurücklehnen, Popcorn schaufeln und die Emotionen fließen lassen. Warum bloß muss ich bei »Ziemlich beste Freunde« immer an »Pretty Woman« denken? Ja genau, auch eine extreme Konstellation: die Nutte und der Millionär. Ein Lieblingsmärchen des Abendlandes. Na sicher gab es in der Branche auch schon Liebesbeziehungen mit glücklichem Ausgang. Solche Geschichten passieren – ausnahmsweise – tatsächlich. Exemplarisch sind sie deshalb noch lange nicht. Sie funktionieren über die Behauptung, dass die Welt schön und das heißt hier vor allem schön einfach strukturiert ist.

Wunder gibt es immer wieder. Wer sein Leben nicht genießt, egal ob maximal gelähmt oder maximal unterfinanziert, ist selber schuld. Wie sieht wohl ein Querschnittsgelähmter mit knapper Kasse diesen in Frankreich dritterfolgreichsten Film aller Zeiten? Das Rezept, Ausnahmesituationen zu Alltagsgeschehnissen umzudeuten, funktioniert auch bei der nicht gehandicapten Bevölkerung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz hervorragend. Sagen die Besucherzahlen. Und wenn ein europäischer Film so dermaßen einschlägt, gibt es über kurz oder lang ein Hollywood-Remake. Es wird den Realitätsbezug sicher noch steigern. Der reiche Rollstuhlfahrer wäre eine Paraderolle für Tom Hanks, der schon so viel laufen musste. Und sich garantiert über die sportliche Herausforderung freuen würde, mal nur mit dem Kopf zu spielen. Denzel Washington wiederum wäre ein prima subtiler Vorzeige-Unterschichtler. Na, wahrscheinlich haben sie die Drehbücher schon auf dem Tisch.
Grit Dora

http://www.ziemlichbestefreunde.senator.de