24. Mai 2012

Soll das der filmische Höhepunkt der Comicverfilmungen sein?

Alles richtig gemacht oder verfilmte Ironie?
Soll das der filmische Höhepunkt der Comicverfilmungen sein?
In der Redaktion des Kinokalender Dresden ist man, wieder mal, darüber geteilter Meinung.
Alles richtig gemacht oder verfilmte Ironie, aufgeblasen zu kindlichem Dauerfeuer – Marvels The Avengers ?

Pro:

Noch eine Comicverfilmung aus dem Hause Marvel - mit Riesenbudget und großen Namen Besetzung produziert. Kann das gut gehen? Das gleich vorab - es kann.

Disney, der US-Unterhaltungsriese, der 2009 Marvel Entertainment übernahm und mit Erfahrung im Recyceln alter Unterhaltungsware - Stichwort »Karibik« - hat wieder mal (fast) alles richtig gemacht. Die anhaltend guten Zahlen in den USA und bei uns belegen, der Nerv des Publikums und sogar der Kritiker wurde getroffen.

Statt nur auf Geld, Effekte und die angesagten Namen zu setzen, wurde intelligent, mit viel Spaß und Ironie die Tradition der amerikanischen Superhelden modernisiert und dem Zeitgeist angepasst. So darf zwar Samuel L. Jackson sehr direkt und nüchtern den Laden zusammenhalten, dafür aber liefert Robert Downey Jr. eine sehr schöne Probe seines schauspielerischen Vermögens ab und kann im Duett mit Mark Ruffalo durchaus hintersinnig und selbstironisch die Handlung und die Interessen der Regierung und ihrer Geheimorganisation hinterfragen (Parallelen zur US-amerikanischen Realität sind natürlich ganz zufällig).

Auch wenn geneigter Zuschauer sich nicht im Marvel-Universum mit seinen zahlreichen Bezügen zur Antike und nordischen Göttern auskennt, kann er und sie durchaus gut unterhalten den zahlreichen Wendungen der Handlung - natürlich spielt der Drehbuchautor Gott und bestimmt, was für den Verlauf des Filmes wichtig ist und wie sich die Regeln verbiegen lassen - folgen und sich vom großen Finale in der Stadt, einer gigantisch gecrashten Kopie Manhattens, überwältigen lassen. Klar, es ist kein Drama über Todkranke, sozial Ausgegrenzte oder schwere Beziehungen, auch wenn diese am Rande auch thematisiert werden.

Enttäuschend in der Tat ist Scarlett Johansson, auf die sich unser Schreiber Julio Espin so gefreut hatte, die der Rolle der feschen Natascha leider nicht eine eigenständige Aura zu geben vermag. Alle anderen Helden - besonders Chris Evans verpasst dem einfältig angelegten Captain America eine eigenständige Figurenschärfe - spielen erstklassig und verleihen den Comicfiguren menschliche Tiefe und Ausstrahlung. Gut, den Ausserirdischen wird so etwas nicht zugestanden, die werden ohne Hemmungen zerquetscht. Wo bleibt eigentlich da die PC, die Political Correctness?

Wenn Robert Downey Jr. zum Schluß vom besten Shawarma in der Stadt schwärmt, ist das nicht nur eine kleine, feine Liebeserklärung an die arabische Küche. Es klingt natürlich auch sexyer als "wir gehen jetzt einen Döner essen". Mersaw


Contra:
Ein Witz, gell? Verfilmte Ironie, aufgeblasen zu 140 Minuten kindlichem Dauerfeuer aus inhaltsleerem Gebrabbel, endlosem Geballer und Rumgeturne auf nicht mehr als drei Filmsets? Dazu gelangweilte Charakterdarsteller, die zum Dank für ihre (wahrscheinlich sehr hohe) Gage auf Autopilot schalten und sich fatalerweise auf das Talent ihres Regisseurs verlassen?

Aber wer ist das eigentlich? Joss Whedon heißt der Mann, laut Aussagen von Fans verantwortlich für die besten Folgen der Serien »Buffy« und »Angel«. Was gern verschwiegen wird: Whedon verzapfte 1997 auch den unsäglichen vierten Teil der »Alien«-Reihe, den der arme Jean-Pierre Jeunet (»Die fabelhafte Welt der Amélie«) nun auf ewig als sein Hollywood-Debüt in seiner Filmografie stehen hat.

Für die Marvel-Bosse offenbar die passenden Argumente, um Whedon mit dem Prestigeobjekt des Hauses, der Heldenzusammenführung Avengers, zu betrauen. Heißt übersetzt: Vereine die Qualitäten der Erfolgsfilme »Iron Man«, »Der unglaubliche Hulk«, »Thor« sowie »Captain America« und forme daraus einen Film, der allen Charakteren gerecht wird, sie andererseits aber auch als Superclique präsentiert.

Nun will ich nicht verheimlichen, dass ich weder die Comics gelesen noch alle einzelnen Vorgängerfilme gesehen habe. Großen Anteil an dieser selbst auferlegten „Wissenslücke“ hat »Iron Man 2«, der angesichts seiner Überraschungsarmut und Inhaltsleere (offenbar ein altbekanntes Problem im Marvel-Filmuniversum, siehe oben) an Enttäuschungen nicht zu überbieten war.
Die zahlreichen Vorschusslorbeeren, Empfehlungen von Freunden und nicht zuletzt das gigantische Einspiel von über 200 Millionen Dollar noch vor US-Start weckten allerdings meine Neugier. Sollte es vielleicht doch noch einmal möglich sein, eine so amüsante, selbstironische und liebevolle Comicverfilmung zu erleben wie 2008, beim ersten »Iron Man«?

Schon die erste Szene, eine Totale auf die Kommandozentrale der Superhelden, erschrickt: Ein derart schlecht animierter Helikopter in einer 220-Millionen-Dollar-Produktion? Zwar bessern sich die Zutaten aus dem Computer mit zunehmender Laufzeit, doch weder der als Loki wiederkehrende Tom Hiddleston mit seinem fürchterlich übertrieben zur Schau gestellten diabolischen Grinsen, noch seine Eroberungspläne erreichen jemals ein bedrohliches Level. Apropos: Wenn es schon zu einem Aufeinandertreffen sämtlicher Hollywood- Großverdiener kommt, wieso wagt man nicht auch ein neues, höheres Level an Tempo, Witz und Schauwerten? Stattdessen bleibt Robert Downey Jr. alias »Iron Man« der komödiantische Alleinunterhalter, während Scarlett Johansson ebenso überraschungsarm wie kindisch eingeführt wird (an einen Stuhl gefesselt befreit sie sich von drei Peinigern, während ein Kollege am Telefon wartet) und ansonsten nur ihren hübschen Lederhintern in die Kamera recken darf. Mädel, Du kannst doch schauspielern?! Dann tu es doch!!!

Überhaupt entsteht der Eindruck, dass Whedon keinen Schimmer hat, was er mit seinen vielen Alphamännchen anstellen soll. Selbst deren Wortgefechte verlieren schnell ihren Reiz, speisen die sich doch überwiegend aus Gags, die meilenweit im Voraus ihre Pointe erahnen lassen. Aus Ermangelung an Bösewichtern lässt er Loki in der Filmmitte ebenso vorhersehbar entkommen, nur um seine Helden anschließend im ewig gleichen Set noch einmal ihre ermüdenden Monologe halten zu lassen. Bezeichnend: Während Lokis Flucht degradiert das Drehbuch Iron Man zum Mechaniker, der außerhalb des Luftschiffs ein paar Schrauben drehen darf und dehnt diese Episode auf beinahe 15 Minuten aus. Was ein Knaller!

Für das Finale, das offenbar in den Ruinen vom »Transformers 3«-Dreh entstand, lässt Whedon zwar eine ganze Stadt in Schutt und Asche ballern: Die uninspirierte, langweilige und von überflüssigen, coolen Posen durchzogene Choreografie der Kampf- und Actionszenen bestätigt allerdings den Verdacht, keinen Visionär, sondern lediglich einen passablen Strippenzieher auf dem Regiestuhl vorzufinden.

Kein WOW!-Effekt, keine Finesse, keine Überraschungen: Avengers ist eine der großen Enttäuschungen des Blockbuster-Jahres, ein Potpourri aus Standards auf allen Ebenen und ein weiteres Beispiel für den Glückstreffer »Iron Man«, mit dem 2008 ein neues Kapitel in Bezug auf Comicverfilmungen aufgeschlagen werden sollte. Wie sich jetzt zeigt, war dies wohl nur eine einmalige, streng limitierte Sonderauflage.
Csaba Lázár