5. September 2008

„Fly by Rossinant“

oder wie Goran Bregović zu seiner Combo kam.
„Fly by Rossinant“
Vor zehn Jahren reiste der bulgarische Regisseur Jacky Stoév zu Goran Bregović nach Belgrad, um ihn für seinen Film »Fly by Rossinant« zu gewinnen und wünschte sich von ihm eine Verschmelzung von Balkanmusik mit klassischen Elementen. Goran klinkte ein. Da ich als Kolumnist in der Welt des Filmes sehr geschätzt werde, ich seit 1988 nicht mehr in Bulgarien war und auch die Sprengung des Georgi-Dimitrov-Mausoleums verpasst hatte, erhielt ich zehn Jahre später eine Einladung inklusive Flugticket nach Sofia zur Premiere des nun fertigen Werkes. Bekanntermaßen verfügt Bulgarien nicht über ein reicheres West-Bulgarien, so dass man noch 18 Jahre nach der Wende den Eindruck hat, das Land befindet sich gerade im Aufbruch. So viele Porsche Cayennes habe ich glaub ich das ganze Jahr nicht in Dresden gesehen, ...aber auch Kraftfahrzeuge, die mein Auge letztmalig 1989 erblickte. Ins Kino „Slawekov“ ist mittlerweile eine Parfümerie eingezogen und aus dem Cafe „Tschaika“ ist nunmehr eine Filiale des „Ministry of Defence“ geworden. Super Westwelt. Aber wir sind ja hier kein Reisemagazin sondern ein Feuille de Sujet de Film. Die Filmpremiere: Feierlich schritt ich im Blitzlichtgewitter über den roten Teppich ins Sofioter Multiplex-Kino. Eventuell verwechselte man mich mit Bruce Campbell. Die Produzentin Diana Damianova jedenfalls begrüßte mich herzlichst, nannte mich bei meinem richtigen Namen und führte mich auf meinen Platz mit einem Schild mit ebendiesem, Goran Bregović saß zwei Plätze weiter. Der stellvertretende Kulturminister stand, offensichtlich Süßholz raspelnd, neben dem Regisseur. Später erfuhr ich, dass der Staatsdiener eigentlich Schauspieler und sein Posten nicht so sicher ist. Ebenfalls an Bord der ehemalige Präsident Bulgariens, der mutmaßlich auf Grund der mitgebrachten Gorillas mit Knopf im Ohr immer noch wichtig oder wenigstens zur Mafia konvertiert ist. Dann ging´s auch schon los. „Fly by Rossinant“ erzählt die Geschichte eines kleinen Orchesters auf der Reise mit einem über 50 Jahre alten Tourbus von Graz nach Wien. Da gibt es viel zu erzählen, zu tratschen und zu intrigieren. Hier reicht sich eine absurdere Episode nach der anderen den Staffelstab. Für Fans von Goran Bregovićs „Wedding & Funeral-Band“ ist vor allem diese Szene sehr interessant: Als zwei Straßenbahnen kollidieren, in der Fans von Lewski Sofia und ZSKA Sofia sitzen und es folgerichtig zu einer ordentlichen Drescherei kommt, beginnt die ebenfalls an Bord befindliche Hochzeitskapelle mit der Begräbniscombo aus der gegnerischen Tram das vortreffliche Handgemenge musikalisch zu untermalen. Fellini meets Jacques Tati oder Charlie Chaplin mit einer Flasche Mastika intus und das alles im Balkanbeat von Goran Bregović. Eine Filmkritikerin bezeichnete Jacky Stoév auch treffend als Erfinder des Cinéma de Varieté, was ich nicht besser hätte ausdrücken können. Der Abschlusssong hämmert aus den Boxen, der Saal erhellt sich, das Publikum tobt und vor allem Goran Bregović wird gefeiert wie ein Nationalheld. Ein bulgarischer Mafiaboss umarmt Jacky Stoév, gibt ihm einen Kuss auf die Wange und steckt ihm 200 Lewa (100,-Euro) in die Brusttasche. Auf der Premierenfeier gibt es blöderweise kein Bier, was aber schnell für mich geändert wird. Herrliches Europa. Na denne, Nastrawe!

Euer Dr. Kurt Hanuschke, Januar 2008