13. August 2012

Wenn die sich jetzt noch küssen, kotze ich

Im Cinemaxx »Ice Age 4« gucken
Wenn die sich jetzt noch küssen, kotze ich
Teil vier von »Ice Age« lockt(e) nicht nur Kinder ins Kino, sondern auch zwei Redakteure des Kinokalender Dresden. Nach ihrer Rückkehr aus der Eiszeit gaben sie Folgendes zu Protokoll:

Pro:
Brillen sind toll, auch wenn man sie verkehrt herum aufsetzt. Es gilt »Ice Age 4 – Voll verschoben« in 3D zu besichtigen. Wir sind zu fünft – zweimal Presse und drei Testkinder – acht, sieben und drei Jahre alt. Es gibt gefühlte 90 Minuten Werbung und einen deprimierenden Simpsons-Kurzfilm als Bonustrack vorneweg. Alles viel, viel, viel zu laut. Also zurück zur Kasse, es kommt auch gleich wer mit, der leiser stellt. Schöne Sache, weil wir jetzt wissen, wo der Knopf ist, an dem man drehen muss. Endlich geht’s los. Gierschlund Scrat, das Säbelzahneichhörnchen, jagt wieder sabbernd nach der ultimativen Nuss und sorgt für die nötigen Risse im Erdwaschbeton. Scrat tanzt Samba auf dem Erdkern und die Kontinentalplatten geraten in Bewegung. Fulminanter Auftakt. Die neue Welt, jedenfalls die Kontinente, so wie wir sie kennen, entsteht. Das sieht sehr schön aus und ist sehr lehrreich.

Dann Familiengedöns. Manni hat als extrem unentspannter Vater wenig Spaß daran, die Ausbruchsversuche seiner pubertären Tochter zu beobachten. Sid bekommt eine renitente Oma aufs Auge gedrückt und Diego versucht den Ball flach zu halten. Gelingt nur, bis die Felswände wackeln. Weil ja die Platten in Bewegung geraten. Alle versuchen nun irgendwie von A nach B zu kommen. Mammutpapa, Säbelzahntiger, Faultierenkel und -oma spült es unter Zurücklassung der beiden Mammutladies aufs Meer hinaus. Auf der Suche nach Festland geraten sie an Piraten. Capitain Jack Sparrow, hier in der Orang Utang-Version verschont auch »Ice Age 4« nicht.

Wie kommt bloß der Affe auf die Eisscholle? In einer unmotivierten aber sportlichen kleinen Volte wird der Genre-Wechsel zum Piratenfilm vollzogen. Kurz sieht es schlecht aus im Spechthaus, aber wo gepupst werden darf, ist Rettung nicht weit. Die Kinder lachen und die Piraten werden ausgetrickst. Diego bekommt eine fesche Mieze ab. „Wenn die sich jetzt noch küssen, kotze ich“, nuschelt die Faultieroma. Die Kids sind ganz auf ihrer Seite, denn Liebe ist viel ekelhafter als Zahnlosigkeit. Solcherart beflügelt, angelt sich Oma einen Wal, mit dessen Hilfe die Rasselbande den Eisschollenkarren aus dem Dreck zieht. Damit die Story nicht zu eindimensional wird, fahren alle noch schnell bei den Sirenen vorbei, die sich als fiese kleine Meeresmonster entpuppen. Manni als Odysseus ist schon fein.
Glückliche Heimkehr, Rettung der Mammutladies aus höchster Gefahr und Herstellung der Familie Eintracht. Fröhliche Kinder, staunende Erwachsene. Wie schaffen es die Amis nur immer wieder, keine Geschichte zu erzählen und trotzdem tolle Unterhaltung zu machen? Nicht, dass man jetzt irre gespannt auf »Ice Age 5« wäre. Aber schön war es schon. Und der Bildungsfaktor so hoch. Kontinentalplatten, Odyssee, Atlantis. Denn ja, Scrat zieht dem Nussparadies den Stöpsel raus. Und das in 3-D! Blubber, blubber, blubb...
Grit Dora

Contra:
Alles Flehen half nix: Der Chef bestand auf einer Rezension zum neuesten Abenteuer von Mammut Manni, Säbelzahntiger Diego und Ottifant, Verzeihung, Faultier Sid. Tatsächlich scheint ihn meine Warnung, kein begeisterter Anhänger des Trios zu sein und somit vorurteilsbehaftet ins Kino zu schlürfen, nur noch angestachelt zu haben. Wusste er womöglich schon von dem bitterbösen Vorfilm der Simpsons, der mich erwarten würde? Wer bitteschön kommt auf die Idee, einen solch von Doppeldeutigkeit und Fiesheiten durchtränkten Fünfminüter »Ice Age« voranzustellen? Mir wurde sogleich angst und bange um meine jungen Saalnachbarn, die mein herzliches Lachen beim Schmetterling-an-die-Wand-Klatschen völlig schockierte. Grandios, Maestro!

Wie zu erwarten, ging es danach stetig bergab. Zunächst endlose, unerhört schnelle Kameraflüge durch die Botanik, die wohl den Spaß einer Achterbahn suggerieren sollten, dabei jedoch nur das Endprodukt einer solchen Fahrt bewirkten: Übelkeit. Vielen Dank, ein super Start in den Filmabend! Apropos: Was suchen eigentlich die vielen Kinder zu dieser Zeit noch im Kino? Nicht erst seit meiner eigenen Kindheit weiß ich, dass der Nachwuchs bei Übermüdung zu Hyperaktivität neigt und dazu gern sein Stimmorgan testet. Voilà, nach bereits 20 Minuten Film beginnt das Geplärre und Rumgeturne im Dunkeln, lautstarke Wortmeldungen beim Verirren inklusive.

Was dies mit dem Film zu tun hat? Nun, wäre dieser nur halbwegs interessant für das junge Publikum, würden sie gebannt zur Leinwand schauen. Meinen Glückwunsch an die Eltern, die hierfür einen extra 3D-Preisbonus gelöhnt haben. Manni, Diego und Sid sind inzwischen (mal wieder) auf Reisen und begegnen dabei einem Captain-Sparrow-Verschnitt in Affenform, der beunruhigend oft von „aufknüpfen“, „ertränken“ und „töten“ spricht und dies mit einer textlich arg stolpernden Musical-Nummer unterstreicht. Das alles wirkt so uninspiriert nach Schema F zusammengeschustert, dass selbst die kleinen Zuschauer nun dazu übergehen, über die Sitzlehnen von einer Reihe zur anderen zu klettern. Allein beim Zuschauen habe ich mehr Herzklopfen als im ganzen Film.

Eines haben die Macher der »Ice Age«-Reihe allerdings inzwischen perfektioniert: Haste verrückte Nebenfiguren, lässt du sie immer dann auf dein Publikum los, wenn es in der Haupthandlung nichts mehr zu erzählen gibt. So sorgt nicht nur der immer noch bemitleidenswerte Scrat mit seiner Eichelsucht für Schmunzler, sondern vor allem zwei selbsternannte Idioten von ähnlichem Aussehen, die keinen Hehl aus ihrer beschränkten Weltsicht machen. In diesen Szenen, die in ihrer Absurdität wohl kaum von den kleinsten Zuschauern erfasst werden können, hat »Ice Age 4« seine besten Momente, bevor die drei Hauptdarsteller wieder in den Mittelpunkt rücken – und langweilen, da ihren gegensätzlichen Charakteren nach drei Filmen nichts mehr abgewonnen werden kann. Trauriger Höhepunkt: ein Abspannsong mit dem Titel „We are Family“, der sicherlich gut gemeint ist, aber ebenso deplatziert und drangeklatscht wirkt wie die verunglückte Piraten-Playback-Show in der Mitte des Films.

Was bleibt, ist ein Sammelsurium an halbgaren Ideen, die als nette Beigabe als DVD-Extra genügt und es den Eltern erspart hätte, sämtlichen Plastik- und Süßkram-Quatsch, der vor Filmbeginn die Kinderaugen zum Leuchten brachte, nun auch noch kaufen zu müssen.
Csaba Lázár

http://www.iceage4-vollverschoben.de