7. Juni 2013

Pro und Contra »Django Unchained«

Wenn Regisseur und Autor Quentin Tarantino bittet, kommen sie alle:
Pro und Contra »Django Unchained«
Die Darsteller, die Zuschauer – und die (Kinokalender-)Kritiker. »Django Unchained« ist da keine Ausnahme.

Pro
Was für ein Abgang: Gewöhnlich gibt es in einem Tarantino-Film stets eine große Anzahl einprägsamer Szenen. Allerdings ist es auch dem Meister der Cameo-Auftritte, Alfred Hitchcock, wohl nie gelungen, sich in seinen eigenen Filmen derart grandios selbst zu inszenieren – oder besser: aus den Latschen zu kippen, wie dem Regisseur von »Django Unchained«, Quentin Tarantino. Zumal diese einprägsame Szene seines „Blaxploitation-Westerns“ unweigerlich daran erinnert, was er selbst in einigen seiner aktuellen Interviews immer wieder betont: Dass er schon jetzt an seinen Ruhestand denkt und dieser baldigst schon beginnen könnte.

Es wäre ein großer Verlust nicht nur für seine Fans. Denn kaum ein Filmemacher schafft es in solchER Regelmäßigkeit, vor, während und nach der Produktion seiner Streifen so ein Tohuwabohu unter Schauspielern, Publikum, Kritikern und Nominierungslisten anzurichten wie der 49-Jährige aus Knoxville, Tennessee. Ein Western, der die Sklaverei thematisiert? Unmöglich! Leonardo DiCaprio als Bösewicht? Lächerlich! Ein neuer Song von Ennio Morricone nur für ihn komponiert? Wird nicht passieren! 165 außergewöhnliche Filmminuten später ist diese Skepsis vergessen. Und das ist vor allem ein Verdienst der fabelhaften Besetzung: Christoph Waltz gibt einmal mehr den Meister der Dialogpräsentation, Foxx beeindruckt mit seiner Wandlungsfähigkeit vom gebrochenen Sklaven zum selbstbewussten Racheengel, Leo DiCaprio präsentiert sich meisterlich unberechenbar und Samuel L. Jackson ist als sein Assistent der Teufel in Menschengestalt. Dank ihnen kann es sich Tarantino auch leisten, mehr als eine halbe Stunde seines Films nichts weiter als eine Tischkonversation zu beobachten ohne dabei zu langweilen. Überhaupt ist er eine Koryphäe, wenn es darum geht, Szenen mehrere Male kurz vor dem Siedepunkt zu halten und dann auf unerwartete Weise im wahrsten Sinne des Wortes explodieren zu lassen, was auch »Django Unchained« wieder bravourös beweist.

Wie immer ist es weniger Neues, das er präsentiert, sondern vielmehr die überraschende Kombination aus Altbekanntem. Seien es wiederkehrende Gesichter, die manchmal abstruse, und dann aber doch passende Verwendung von Musiktiteln (Rap im 19. Jahrhundert? Yo!) oder der gewagte Mix aus Gewalt und Humor, der im Falle von Django Unchained trotz der Thematik nie aufgesetzt oder unpassend wirkt. Wie macht er das bloß? Und warum gelingt es einfach niemandem, diesen Stil zu kopieren? Und mal ehrlich (Achtung: Spoiler!): Welche Regisseure trauen es sich noch, ihre beiden berühmtesten Darstellernasen (Waltz, DiCaprio) derart früh „zu verheizen“? Okay, die Coens mal ausgenommen.

Vielleicht ist es diese formale, inhaltliche und personenbezogene Unvorhersehbarkeit, die die Massen – nicht nur die Fans – alle drei Jahre zu „einem neuen Tarantino“ in die Kinos lockt. Einem Bond gelingt dies zwar auch immer wieder mühelos, allerdings steht dort das Überleben des Helden niemals zur Diskussion. Mr. Tarantino hingegen stellt historische Fakten (siehe auch »Inglourious Basterds«), sämtliche Genregewohnheiten und ausnahmslos alle Charaktere zur Diskussion. Oder bombt sie wie in seinem spezielleN Falle einfach weg, wenn er sie nicht mehr braucht.

Solange er der Einzige bleibt, der sich solche Freiheiten erlaubt, ist sein Ruhestand glücklicherweise noch in weiter Ferne. Trotzdem: Rein ins Kino und »Django Unchained« gucken! Denn etwas Gleichwertiges wird es vielleicht erst in drei Jahren wieder geben.
Csaba Lázár

Contra
Je böser die Leute, desto besser die Belohnung. Deutscher Kopfgeldjäger (Christoph Waltz mit dem schönsten Wackelzahn der Kinogeschichte auf seinem Wildwestgefährt) befreit arg ausgepeitschten Sklaven (Jamie Foxx), um mit dessen Hilfe die bitterbösen Brittle-Brothers ausfindig zu machen. Mit der ausgesetzten Belohnung für das verbrecherische Trio kämen der vermeintliche Dentist Dr. Schultz und sein Lehrling Django schon gut über den Winter. Da sich der entfesselte Sklave als äußerst talentierter Schütze erweist und moralische Skrupel nicht lange vorhalten, nehmen die zwei vor Einbruch der kalten Jahreszeit noch reichlich mehr schwere Jungs aufs Korn. In der Winterpause unterhält man sich mit Schießübungen am Schneemann. Mit gut gefüllter Börse ziehen die Caballeros in den tiefen Süden weiter, um Djangos Frau aus der Hand des „widerlichen Gentlemans“ Calvin Candie zu befreien. 90 Prozent der Anwesenden bleiben schlussendlich auf der Strecke. Quentin Tarantino zitiert in »Django Unchained« Blacksploitation-Filme und Spaghetti-Western. Er versetzt Comic-Strip-Elemente mit irgendwie doch ja ernsthafter Rassismuskritik. Er mixt Action Painting und Schneewittchen. Die Haut von Jamie Foxx ist schwarz wie Ebenholz. Die blendend schneeweißen Baumwollfelder schreien nach Blut. Das rote Nass tröpfelt, spritzt und fließt beispiellos. Nach wie vor kann das keiner schöner in Szene setzen als QT. Optisch ist der Film überwältigend, dramaturgisch hingegen ziemlich schwach. Bis Christoph Waltz und Leonardo DiCaprio im großen Showdown von der Bildfläche verschwinden, ist noch alles herrlich heftig und gut. Das angehängte zweite Finale wirkt dann schnell zusammen geschustert. Da hilft es auch nichts, dass der Regisseur sein großes Kinn in die Kamera hält und den Sklaventreiber gibt. White Trash hat man bis dahin schon genug gesehen. Django reichts jetzt auch, er jagt den ganzen Abschaum in die Luft, reißt das restliche Dynamit an sich und den Sattel vom Pferd. Die linke Hand in die Mähne gekrallt, in der rechten das Gewehr, galoppiert er davon, die Liebste heimzuholen. Was für eine Pose. Die Texte werden dünn: „Na, du kleiner Troublemaker? Na, du großer Troublemaker!“ Scheint so, als hätte es der sonst im fein ziselierten Dialoggeratter schwelgende Quentin Tarantino plötzlich eilig gehabt. Vermutlich wollte er endlich mit Christoph Waltz in die Oper, »Siegfried« gucken und die Filmerei schnell zu Ende bringen. Nach dem Motto, Hauptsache die Pyrotechnik stimmt. Ist auch nicht schlimm, denn zwei Stunden lang ist der Film schlicht großartig. Don Johnson amüsiert als Big Daddy, Franco Nero verblüfft als Sklavenbesitzer. Quentin Tarantino kann sich nicht pausenlos selbst übertreffen. Ennio Morricone wiederum übertrifft sowieso alle.
Grit Dora

http://www.djangounchained.de