7. Juni 2013

Helden wie ihr

Ein Dresdner Kaskadeur zwischen Hollywood und MDR
Helden wie ihr
Wenn derzeit verstärkt große Hollywoodproduktionen in unsere Heimat kommen, sind nicht nur die Profis der großen Studios dabei. Darunter sind auch viele Fachleute aus der Region, die zwar bei den Credits nicht ganz oben auftauchen, durch ihre Arbeit aber maßgeblich zum Gelingen des Filmes beitragen.
Eine große Rolle - gerade bei actionorientierten Filmen - spielen naturgemäß Stuntleute. Unter diesen hat sich der Dresdner René Lay, der vor 25 Jahren auszog und zu einem der Besten seines Faches wurde, einen hervorragenden Ruf erworben. Auf seiner Liste tauchen neben Big-Budget Produktionen wie »Bond 007: Der Morgen stirbt nie« oder »Die drei Musketiere« auch eher künstlerisch orientierte, kleinere Produktionen auf, darunter der preisgekrönte »Carlos – Der Schakal« und aktuell der Erstlingsfilm von Philipp Leinemann »Und morgen leben wir wieder« (Bild Zugriff, Foto Joachim Blobel, ⒸWalker+Worm Film). Anlässlich der Dreharbeiten zu diesem außergewöhnlichen Film sprachen wir mit René Lay.

Was ist eigentlich ein Stunt, wie arbeiten Stuntleute?
René Lay: Stuntleute sind die einzige Gruppe, die vor und hinter der Kamera agiert. Es geht um glaubhafte Szenen zur Unterstützung der Handlung und der Bildsprache. Das wahre Leben ist real - wir im Film behaupten nur etwas, schaffen eine Illusion. Das gilt auch für die Stunts und die Action, das sieht schnell langweilig aus, wenn es schlecht gemacht ist.
Nimm allein den Trailer für Filme - immer sind die wichtigsten, ansprechendsten Szenen dabei - also Liebe und Action, auch bei Arthousefilmen. Denn Kino lebt nun mal von der Illusion und den Gefühlen.
Der Regisseur denkt, der Stuntman ist der Ersatz für den Schauspieler, also sagt er: „Stell dir vor, du bis Bruce Willis“. Aber eigentlich müsste es heißen „Stell dir vor, Bruce Willis muss jetzt mit dem Auto durch das Haus fahren, wie machst du das?“.
Gute Beispiele für aktuelle Arbeiten, wo die Stunts auch richtig real gemacht wurden, sind »96 Hour« mit Liam Nielsen, das Remake von »Total Recall« mit Colin Farrell und Tarantinos »Django Unchained«. Das sind Beispiele für sehr gutes Handwerk.

Die Arbeit eines Stuntman - wie muss man sich das heute im Zeitalter der Computer und digitalen Effekte vorstellen?
René Lay: Die Digitalisierung erweitert die Möglichkeiten unserer Tätigkeit. Die Kamera kann näher ran an die Action­szenen, die können ganz anders aufgeblasen und analoge Szenen in Hintergründe eingepasst, wunderbare Kombinationen aus realen und digitalen Illusionen können geschaffen werden.
Mal das aktuelle Beispiel von »Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben«. Da legt Bruce Willis ganze Straßen­züge in Schutt und Asche. Gedreht wurde das aber vor einer 500 m langen grünen Wand in Budapest. D. h. die konkreten Aktionen werden vor grüner Leinwand aufgenommen und dann digital in die Straßenzüge eingepasst. Der Zuschauer staunt dann, was alles so in Moskau geht.
Mittlerweile werden viele Szenen, die man als Zuschauer nie als Stunt einordnen würde, wie ein solcher behandelt. So z. B. die Eröffnungssequenz bei Polanskis »Der Gott des Gemetzels«, in der der Junge mit dem Stock geschlagen wird.
Neben der klassischen und neuen Actionszene steht immer mehr die Gefahrenbeurteilung für das gesamte Drehteam, also nicht nur den Hauptdarsteller im Focus. Stuntleute sichern zum Beispiel das Team bei Arbeiten in Höhen ab. So wurde aktuell nach dem Unfall bei »Wetten das« eine Arbeitsgruppe von der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) „Gefährdungen bei szenischer Darstellung“ ins Leben gerufen.

Neben deiner Stunttätigkeit bist du auch filmpolitisch aktiv?
René Lay: 2007 habe ich den Bundesverband der deutschen Stuntleute gegründet (www.german-stunt-association.de). Ziel ist es, den Status unserer Mitglieder in der Branche zu verbessern und das Verständnis der anderen Berufsgruppen für unsere Arbeit zu heben. Wir haben zahlreiche sehr gute Stuntleute in Deutschland. Darunter z. B. Volkhard Buff, der hat als Stuntkoordinator für »Cloude Atlas« gearbeitet und betreut aktuell »The Monuments Men« von Cloney (Dreharbeiten haben im März in Babelsberg begonnen). Da hat sich also auch international viel bewegt für deutsche Stuntleute.

Welche der Filme, an denen du mitgearbeitet hast, sind dir die wichtigsten?
René Lay: Mein wichtigster Film war »Carlos – Der Schakal«, da war ich Stuntkoordinator, keiner stand bei den Credits vor mir. Das war mein bisher größter internationaler Auftrag und machte am meisten Spaß. Das war sehr komplex, aber auch anregend und vor allem, der Film bekam super Kritiken und war einfach großes Kino. Die Dreharbeiten fanden u. a. im Libanon und Syrien statt. Meinen Anteil am Film chrakterisiert wohl am besten, dass Olivier Assayas, der Regisseur zu mir sagte: „Ich weiß gar nicht, was ich machen soll. Du tauchst fünf mal an verschiedenen Orten im Film auf. Ich kann dich aber nicht rausschneiden, ohne die Handlung zu zerstören!“

Was war das Besondere an »Und morgen leben wir wieder« und wieso gehören Stunts in Filmkunst?
René Lay: Das war eine Low Budget Produktion mit einem hohen künstlerischen Anspruch. Ein sehr ambitionierter Regisseur und ein wunderbares Buch. Es war das Drehbuch, das mich bisher am meisten bewegte. Brutalität und Grausamkeit sind Stilmittel, nicht Selbstzweck, Gewalt sozusagen als Mittel der Kommunikation.
Am Anfang dachte ich, nie im Leben wird das was. Für die großen Herausforderungen müssten es zwei Mio mehr sein. Wir haben aber ganz viel geschafft. Bei einem geringeren Budget muss man eben schneller sein, nicht zwingend schlechter. Auch hier gilt, der Zuschauer muss den Film sehen und spüren, dass er stimmig, einfach gut ist. Das Gegenteil merkt der Zuschauer auch. Leider habe ich den Film bisher noch nicht gesehen und bin schon sehr gespannt darauf.


Was sind deine Lieblingsfilme. An welchen Projekte arbeitest du in naher Zukunft mit?
René Lay: Mein nächstes Projekt, worauf ich mich besonders freue, sind die Dreharbeiten an Fatih Akins »The Cut« in Jordanien, eine türkisch-armenische Geschichte um das Böse im Menschen, der Abschluss seiner Trilogie. Fürs Fernsehen arbeite ich auch viel, aktuell drehen wir »Der Dicke«. Es enststand eine sehr emotionale Situation, als Dieter Pfaff plötzlich nicht mehr da war, das ging mir persönlich ganz nah. Aktuell bin ich am Theater tätig, Romeo und Julia an der Schaubühne.
Meine Lieblingsfilme: »Es war einmal in Amerika«, »Clockwork Orange«, für Stuntleute natürlich »Männer ohne Nerven« (so hieß der Film in der DDR, als er 1971 ins Kino kam, Titel nach IMDb »Stunts - Das Geschäft mit dem eigenen Leben«).

Wie muss man sich die Dreharbeiten vorstellen?
René Lay: Also, für mich sind die gar nicht langweilig, für meine Frau und viele meiner Freunde schon. Es kommt drauf an, was für ein Drehtag ist. Ist es ein reiner Actiontag, kann es sein, du bist 8 - 10 Stunden unter Spannung und musst ständig etwas tun. Wenn Du was erleben willst, musst Du ins Theater gehen.

Wie beurteilst du die Situation der Filmwirtschaft in unserer Region? Sind die sensationellen Drehs von Hollywood in Görlitz ausreichend?
René Lay: Trotz aller Fortschritte in den letzten Jahren u. a. mit den großen Hollywoodproduktionen in Görlitz und der Sächsischen Schweiz kann ich noch nicht nach Dresden zurückkehren. Ich bin zwar hier gemeldet, aber die Musik spielt noch zu sehr in Berlin, Hamburg, München oder Köln. Interessant ist zu beobachten, dass sich in den letzten Jahren Leipzig, Halle und Erfurt im Osten zu starken Zentren entwickelt haben. Es ist eine sehr lebendige Szene mit vielen Fachleuten entstanden, die auch mehrsprachig agieren können.
Was mir auffällt, bei Dreharbeiten in der Heimat ist es doch viel angenehmer, einfach heimischer, die Sprache, das Verhältnis der Leute, das ist schon ganz was anderes als auswärts.

Wie bist du zu diesem Job gekommen, gibt es dafür eine Ausbildung?
René Lay: Das ist eine lange Geschichte, ich versuch mal an dieser Stelle die Kurzfassung. Ich komme aus Dresden, als Junge habe ich seit dem 6. Lebensjahr Judo trainiert. Der Film »Männer ohne Nerven«, eher ein B-Movie, begeisterte mich, und so etwas wollte ich machen. Später lernte ich Karate. 1982 hatten wir unseren ersten Auftritt mit einer choreographierten Karatevorführung im Jugendclub Cotta. Ab da ging es richtig los, traten wir bei Volksfesten und Jugendclubs auf. Mein erster Arbeitsvertrag war der als Schauspieler und Kaskadeur bei den Landesbühnen, einfach großartig. Und im Winter fanden wir eine Anstellung bei der Glaserei Koenitz. Wir brachten dem Besitzer Karate bei und konnten ungehindert unsere Vorführungen machen. So kamen wir rein in die Szene aus selbstständigen Handwerkern, Händlern und anderen Leuten, die sich Zeit nehmen konnten und nicht 100% nach den Vorgaben einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft lebten. Es war eine tolle Zeit, wir waren 18, hatten Geld wie Heu, kamen im Land herum und keiner schrieb uns was vor.
1997 bot sich mir dann aber die große Chance, statt Vordiplom konnte ich bei den Dreharbeiten zu »Bond 007: Der Morgen stirbt nie« mitmachen. Ab da ging es aufwärts, ich ging nach Hamburg und traf sie alle bei den internationalen und nationalen Produktionen.

Zum Film »Und morgen leben wir wieder«
Das Regiedebüt von Philipp Leinemann »Und morgen leben wir wieder«, der mit seinem Kurzfilm »Transit« für internationale Beachtung sorgte, ist ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich realistisches und hartes Gegenwartsdrama.
Der Film erzählt die konfliktgeladene Geschichte des Zusammenpralls einer Gruppe von gefrusteten SEK-Polizisten, einer Clique Jugendlicher und einem 13-jährigen Jungen mit seinen Freunden. Es spielen u. a. Ronald Zehrfeld, Misel Maticevic, Thomas Thieme, Hendrik Duryn, Tilman Strauß und Frederick Lau.

Die Story
Irgendwo in einer namenlosen Trabantenstadt in Deutschland stürmt ein Sondereinsatzkommando der Polizei (SEK) eine Wohnung. Der vermeintliche Routineeinsatz wird dem Team zum Verhängnis. Bei dem Zugriff verletzt sich einer der Beamten aufgrund mangelhafter Ausrüstung schwer. Der Täter flieht. Für die Gruppenleiter Kevin (36) und Mendes (38) markiert diese Eskalation einen neuen Höhepunkt an Gewalt. Doch auch aus den eigenen Reihen droht Gefahr. Das Innenministerium will aus Kostengründen mehrere SEK-Einheiten auflösen. Das Team steht nun unter besonderer Beobachtung.
Als im Zuge der Ermittlungen zwei Kollegen von Mendes’ Truppe erschossen werden und eine Dienstwaffe abhanden kommt, gerät die Situation außer Kontrolle. Die Gruppe wird immer hasserfüllter und will ihre toten Kollegen rächen. Parallel dazu findet der Junge Vladec (13) zufällig die verschwundene Dienstwaffe. Der kleine Junge wird in dem Viertel ständig gemobbt und schikaniert. Eine Spirale der Gewalt und Rache nimmt ihren Lauf…