2. Juli 2013

Pro und Contra »Der große Gatsby«

Kann das gut gehen?
Pro und Contra »Der große Gatsby«
Baz Luhrmann wagt sich an eine Vorlage von Fitzgerald, Leonardo DiCaprio an eine Nachfolge von Robert Redford und beide an ihren zweiten gemeinsamen Film. Kann das gut gehen? Die Kinokalender-Redaktion ist geteilter Meinung.

Pro:
Er ist schon ein wahrer Künstler, der Baz from »Australia«. Lediglich fünf Kinowerke weist seine Filmografie (u.a. »Romeo & Julia«, »Moulin Rouge«) in 21 Jahren aus, erinnerungswürdig sind sie alle. Sein visueller Stil: berauschend. Seine Themenwahl: mutig. Seine Interpretation: streitbar. Auch »Der große Gatsby« ist Luhrmann pur, opulent, bunt, unterhaltsam, überraschend – und nichts für Freunde der leisen Töne. Und gerade deswegen vielleicht eine der besten Adaptionen der Fitzgerald’schen Vorlage.

Zur Erinnerung: Eingebettet in die Goldenen Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts erzählt »Gatsby« vom Versuch des Millionärs Jay G. (DiCaprio), seine einstige Liebe Daisy (Carey Mulligan) zurückzugewinnen. Die ist inzwischen mit dem nicht minder wohlsituierten Tom Buchanan (Joel Edgerton) verheiratet und lebt in Sichtweite von Gatsbys riesigem Anwesen, auf dem er regelmäßig verschwenderische Feste organisiert, die auch Daisy anlocken sollen. Schlussendlich ist es aber das kleine, unscheinbare Häuschen ihres Cousins Nick Carraway (Tobey Maguire), in dem er ihre Sehnsucht erneut entfachen kann und beginnt, Pläne für einen gemeinsamen Neuanfang zu schmieden. Bis diese jedoch Realität werden können, legt ihm das Schicksal einige (schließlich unüberwindbare) Stolpersteine in den Weg.

Mit seiner Erzählung vom liebeshungrigen Aufsteiger in den 1920ern, der die Gier seiner Mitmenschen nach „Mehr“ und „Ablenkung“ nutzt, um sein privates, ganz intimes Glück (wieder) zu finden, schuf F. Scott Fitzgerald so etwas wie die literarische Blaupause des American Dream. Dass diese wohl eher als Kritik denn Huldigung gemeint war, scheint Regisseur Luhrmann auf den ersten Blick entgangen zu sein. Zu sehr ist er vor allem im ersten Akt seiner in 3D inszenierten Verfilmung damit beschäftigt, jene Verschwendungssucht und Oberflächlichkeit der Privilegierten zu demonstrieren, wirft sein Publikum mitten hinein in ausufernde Partys, die selbst den Freudentaumel der Dynamo-Fans nach dem Überleben der Relegation in den Schatten stellen – und das ist nun wirklich nicht leicht zu übertreffen.

Dass sich der Film darin nicht komplett verliert und im Anschluss die Wandlung zum großen Drama gelingt, ist Hauptdarsteller Leo DiCaprio zu verdanken. Zwischen all dem Trubel, Tanzen und Feuerwerk wirkt er wie der einzig Vernünftige, der sich weder durch Schmeicheleien noch Provokationen von seinem Ziel abbringen lässt. Mit dem Gegensatz, den Luhrmann so aufbaut, macht der Regisseur aber genau das, was auch Fitzgerald zwischen den Zeilen tat: die ganze Absurdität und Perversion des Geiler! Lauter! Mehr! zu entlarven.

Das Problem bei Luhrmann: Seine Bildsprache, gepaart mit einem wie immer fetzig-befremdlich-genialen Soundtrack ist derart perfekt, dass es bei 143 Minuten Laufzeit nicht immer gelingt, das Augenmerk auf die Charaktere zu legen. Die Ausstattung, die Villen, die Autos – man mag sich gar nicht satt sehen. Vielleicht auch, um auf der Leinwand endlich den Grund zu finden, weshalb die 3D-Brille nötig war. Denn bis auf ein, zwei nette Szenchen ist diese nämlich wieder einmal so überflüssig wie eine weitere Folge „Wetten, dass...?“ und kaum eine Bereicherung. Von einem Bildberserker wie Luhrmann habe ich da wirklich mehr erwartet. Fast scheint es, als habe er sich hier extra zurückgenommen, um der Geschichte doch noch ein wenig Platz zur Entfaltung zu geben. Zu spät, leider.

Aber genug des Mäkelns: »Gatsby« 2013 gehört auf der großen Leinwand gesehen und betäubt für zweieinhalb Stunden (fast) alle Sinne, ist Augenfutter par excellence in 3D light und mit einem Hauptdarsteller gesegnet, der diesen komplizierten Charakter in all seiner Widersprüchlichkeit bravourös einfängt – wenn man ihn denn lässt. Der große Leo eben.

Csaba Lázár

Contra
Der Film beginnt mit einem Schock. Tobey Maguire steht als Nick Carraway am Fenster eines Sanatoriums und schaut mit grau geschminktem Gesicht depressiv in die verschneite Landschaft. Der ältere, eine Überdosis Vertrauen einflößende Herr an seiner Seite will ihm die erleichternde Beichte abnehmen. Da der Patient ungern über seine Probleme spricht, rät der Psychiater, alles aufzuschreiben. Oh Wunder! Es funktioniert. Nickie schreibt in der Entzugsklinik ein tolles Buch über seinen Bekannten Jay Gatsby. Was mag Baz Luhrman wohl geritten haben, seinen »Gatsby« mit einer derart altbackenen Rahmenhandlung in die Zange zu nehmen? Vorhofflimmern angesichts der Vorlage? Schwer vorstellbar, schließlich ist ihm bei seiner Shakespeare-Verfilmung auch nicht das Herz in die Hose gerutscht. Der Wunsch, F. Scott Fitzgeralds lebensbestimmende Alkoholprobleme gleich abschließend mit zu verhandeln? Unnötig, da das Buch ohnehin autobiografisch angelegt ist. Oder wollte er die Folgen permanenter Exzesse abschreckend vorführen? Das möchte man einem Regisseur, dessen Filme bisher stets mit einer gut dosierten Portion Skrupellosigkeit überzeugten, schon gar nicht unterstellen. Vielleicht nimmt im Alter das Selbstvertrauen eben doch ab und das Bedürfnis nach Halt gebenden Klammern zu. Wie auch immer, Baz Luhrman erfüllt in seiner Version der ultimativen Roaring Twenties Story alle Erwartungen an die optimale Umsetzung des großen Rausches. Er inszeniert meisterhaft dekorierte, technisch perfekte Partyszenen und hat seinen Spaß an stilistischer Unkorrektheit. Damit holt er das Geschehen wieder einmal ganz dicht an die Gegenwart. Ein großes Plus im Vergleich zum braven Bilderreigen der 1974er Verfilmung mit Robert Redford und Mia Farrow. Leider funktioniert das subversive Spiel mit den Zeitebenen nur auf der optischen Ebene. Inhaltlich bleibt Luhrman angepasst bis zur Selbstaufgabe und stellt sich mit forcierter Werktreue selbst ein Bein.
"Ich habe im Leben nicht solche wundervollen Hemden gesehen", ruft Daisy Buchanan in einer Schlüsselszene Jay Gatsby zu. Das ist O-Ton F. Scott Fitzgerald, der australische Regisseur hat ihn adäquat umgesetzt, aber nichts hinzugefügt oder kontrastiert. Alles bleibt Oberflächenglanz, der weit mehr verzaubert als die tragische Geschichte. Die wirkt neben dem Partyvoodoo völlig blass. Gewiss, Baz Luhrman benutzt Kitsch ebenso souverän wie Jeff Koons. Das hat bei »William Shakespeares Romeo & Julia« fantastisch funktioniert, ist aber auch fast 20 Jahre her. Als Koons seine schillernden Objekte auf den Kunstmarkt warf, war das Avantgarde. Heute ist das alles salonfähig und meist langweilig. Wer da noch richtig hinlangen will, muss gut dosieren. Niemand hat erwartet, dass Luhrman kleckert. Allein, er hat schon viel subtiler geklotzt. »Der große Gatsby« 2013 bedient nur die ganz großen Gefühle und sperrt jegliche Ambivalenz, jede Form von Zweifel aus. Die irren Bilder kippen ins Mechanische, der Aufwand an gewaltigen Gesten bleibt hohl. Eine hübsche Pointe setzt nur die Schlusssequenz, wenn Nick Carraway seine sauber getippten Manuskriptseiten in eine graue Schachtel packt und vor den unscheinbaren Buchtitel „Gatsby“ ein verschämtes „The Great“ malt.
Grit Dora

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