2. Dezember 2011

Der beste Deutsche Film des Jahres? Pro und Contra »Hotel Lux«

Da haben sich wieder mal zwei in der Redaktion des Kinokalenders verheddert!
Der beste Deutsche Film des Jahres? Pro und Contra »Hotel Lux«
Muss oder kann man Michael Bully Herbig in Haußmanns Komödie lustig finden oder ist die Geschichte über Grausames überflüssig?
Leander Haußmann schickt Michael „Bully“ Herbig auf eine Odyssee in die Sowjetunion kurz vor Kriegsbeginn. Das begeistert – und enttäuscht zugleich, wie ein Streitgespräch aus der Redaktion des Kinokalender Dresden zeigt.

Pro:
Armer Bully, armer Leander. Plötzlich machen die beiden gemeinsam Ernsthaftes, doch sogleich schreit die Presse "unentschlossen, am Ziel vorbei" und überhaupt soll doch der "Dietl übernehmen". Da kann man wirklich nur sagen - so ein Schmarrn. Zu letztgenanntem Argument werden die Dresdner nur kopfschüttelnd auf unsere Zwingerfestspiele verweisen - uns Kinobesuchern, konfrontiert mit ersten Trailern aus »Zettl« (vormals »Berlin Mitte«), in dem auch Bully die Hauptrolle spielt, schwant da auch nicht unbedingt Besseres.

Doch zurück zur Kritik an Leander Haußmann. Er bedient sich seiner liebsten Form, der Komödie, um über wirklich Tragisches zu berichten. Denn nichts anderes tut er, als am Beispiel des unbegreiflichen Schlachtens großer Teile der eigenen Bevölkerung und der ausländischen "Freunde" in der UdSSR 1937/38, dem "Großen Terror" eine Geschichte aus dem realen Sozialismus zu erzählen (immerhin wurden in zwei Jahren 1,5 Mio. Menschen verhaftet und davon rund die Hälfte erschossen, bis zu weitere 200.000 Menschen starben in Haft). Der tragische Held Hans Zeisig, von all dem nichts ahnend, kommt aus dem Regen in die Traufe, in Berlin hat er die Nase voll vom Regime und zieht den Führer persönlich durch den Kakao. Die Flucht wird notwendig, leider geht es nicht wie geplant nach Hollywood sondern ins winterliche Moskau (da war gerade ein Pass für einen bärtigen Mann vorbereitet). Dort landet Zeisig natürlich im namengebenden »Hotel Lux«, Gästehaus der Kommunistischen Internationale. Erst langsam dämmert ihm und dem Zuschauer, dass der sadistische Zwerg Jeschow ihn für Hitlers Astrologen hält und seinem Führer eine große Freude bereiten will.

Plötzlich bekommt die eingangs so unbekümmerte Komödie einen schweren, berührenden Unterton. Die Bekanntschaft mit den Exponenten des sowjetischen Systems wird zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. So erschießt Stalin unvermittelt seinen Dolmetscher, der versteckt hinter dem Duschvorhang Zeisigs Ratschläge übersetzt, nach dem Abschluss der Séance ("Von denen haben wir genug!"). Da wirkt der große Führer des Proletariats so normal menschlich, wie er irgendwie auch gewesen sein muss, aber eben auch so zynisch, besessen und oft besoffen, wie er eben die Bevölkerung seines und anderer Länder tyrannisiert hat. Die so fern scheinenden Protagonisten jener Zeit bekommen eine menschliche Dimension, dank auch der Besetzung durch hervorragende russische Schauspieler, die Adolf H. so im Kino nicht erhalten hat und so schnell nicht bekommen wird.
Allein dafür gebührt Leander Haußmann großer Dank, mit trockenem Humor und cooler Geradlinigkeit zeigt er die Pervertierung des Systems und seiner Helden. Aus einer der tragischsten Episoden des Sozialismus macht Haußmann einen seiner besten Filme, der die kafkaeske und unglaublich brutale Situation jener Zeit nachvollziehbar macht und den Spagat zwischen Unterhaltungskino und großem Drama ohne Abstriche ausbalanciert. Verglichen mit dem sehr erfolgreichen, doch eher klamottigen »Sonnenallee« großes Kino.
Der Dreh zum Happyend sei ihm dabei verziehen, das Ende entspricht dem humoristischen Ansatz und verleiht dem Film die notwendige Leichtigkeit. Den drei tragischen Helden sei der Flug mit dem sowjetischen Regierungsflieger nach Hollywood einfach mal gegönnt. Denn ist nicht das ganze Leben ein Drama, das nur richtig inszeniert werden muss?

Die Ausstattung des Films wirkt, bis auf die letzten Szenen am Flugplatz in Moskau, hochwertig und imitiert den Standard großer Filme jener Zeit aus Hollywood und auch von Mosfilm. Hinzu kommt die bereits erwähnte großartige Besetzung, in der vor allem Michael Bully Herbig mit seiner Leistung irgendwo zwischen gutgläubiger Schlichtheit und großartigem Charakterspiel überzeugt. An seiner Seite ein bestens aufspielender Jürgen Vogel, der in einer tollen Szene als verkleideter Hitler einen Rabbi auf der Bühne vermöbelt und dafür von den anwesenden Nazis bejubelt wird, und eine sehr charmante Thekla Reuten, die einer gläubigen Kommunistin einfach Leben einzuhauchen vermag. Wie bereits erwähnt, punkten vor allem die russischen Schauspieler und verpassen dem Film eine realistische und sehr emotionale Färbung.
Fazit - eine großartige Komödie, unterhaltsam, aufklärend und wohl einer der besten deutschen Filme der letzten Jahre.


Contra:
„Vergissʼ mal deine Vorurteile und lass dich einfach gut unterhalten,“ wurde mir nahegelegt. Amüsant und anspruchsvoll soll es sein, Leander Haußmanns Hotel Lux, und selbst Bully Herbig zeige, dass er mehr könne, als Winnetou zu parodieren. Denkste! Nach Sonnenallee, Warum Männer… und Dinosaurier hab ich endgültig genug von Haußmann und seinem Verständnis von Unterhaltung. Gelegentliche Glückstreffer wie Herr Lehmann können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Regisseur keine Ahnung hat, wo Satire endet und dumpfer Klamauk beginnt.

Hotel Lux möchte dem diktatorischen Terror am Vorabend des Zweiten Weltkriegs mit komödiantischen Elementen auf die Spur kommen und lässt dafür ausgerechnet Bully Herbig vortanzen, steckt ihm eine Pfeife in den Mund und nennt das dann eine Stalin-Veräppelung. Zwar zeigt er den echten Josef später auch in seiner wahren Monstrosität als unberechenbaren Diktator, verpackt es aber lieber als lustige Nummernrevue eines Cholerikers, dem – siehe Dolmetscher – quasi „aus Versehen“ mal eben Millionen Menschen zum Opfer fielen. Geschmackloser geht es kaum.

Auch wenn sich seine Darsteller mühen, die Idee hinter der Besetzung Bully Herbigs als Komiker Hans Zeisig sogar nachvollziehbar ist, so entpuppt sich das gleichzeitig als größte Bürde. Zwar haben sowohl Haußmann als auch sein Hauptdarsteller in jedem Interview zum Film mehrfach darauf hingewiesen, dass Hotel Lux definitiv kein typischer „Bullyfilm“ sei (was immer das ist). Warum Haußmann ihn dann aber genauso inszeniert und Zeisig zu einer naiven Witzfigur degradiert, die nur zufällig und ohne eigenes Zutun auf Stalin, Ulbricht und Co. trifft, bleibt sein Geheimnis.

Sollte Hotel Lux tatsächlich eine Versinnbildlichung des Roten Terrors in Form einer Tragikomödie sein, so hat Haußmann sein Ziel verfehlt. Die Odyssee seines Protagonisten wirkt wie eine hemdsärmelige Variation des Forrest-Gump-Prinzips, in der er einen Unwissenden durch die Geschichte schubst und selbige nur nutzt, um möglichst viele schlechte Witze einzubauen, deren Trefferquote auch bei 100 Minuten Laufzeit sehr bescheiden bleibt. Eigentlich ist es aufgrund der immensen Qualitätsunterschiede in gar keiner Weise gerechtfertigt, folgenden Vergleich zu ziehen: Aber vielleicht hätte sich Haußmann zur Vorbereitung »Der große Diktator« anschauen sollen, um zumindest ansatzweise zu verstehen, dass eine komödiantische Aufarbeitung jener Zeit mehr ist als eine Aneinanderreihung von Szenen, in denen historisch bedeutsame Personen ihre seltsamen Macken ausleben.
Csaba Lázár

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